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Murder Rock
(Regie: Lucio Fulci – Italien, 1984)
Eine Tanzschule wird von einer seltsamen Mordserie heimgesucht. Der Mörder scheint seine Opfer zunächst kampfunfähig zu machen, um anschließend ohne Widerstand eine lange Nadel durch ihr Herz zu stoßen. Wegen des harten Konkurrenzkampfes, geht Kommissar Borgess (Cosimo Cinieri) zunächst davon aus, dass einer der Künstler der Täter ist. Bei seinen weiteren Ermittlungen wird ihm aber klar, dass hinter den Taten weitaus mehr steckt. Plötzlich behauptet die Lehrerin Candice (Olga Karlatos), in der Schublade ihres neuen Freundes George (Ray Lovelock), eine Hutnadel und etwas Betäubungsmittel entdeckt zu haben…
Die Zensur, die nicht stattfindet, tobte sich Mitte der 80er unter dem Deckmäntelchen des Jugendschutzes hemmungslos auf dem Videomarkt aus. Besonders betroffen waren davon auch die Filme Lucio Fulcis und seiner italienischen Kollegen. Zombie-, Schlitzer- und Kannibalenfilme gaben den selbsternannten Rettern des jüdisch-christlich geprägten Abendlandes einen prima Vorwand, um ihre Vorstellungen von Moral und Anstand durchzusetzen.
So galt es also ein neues Verkaufsargument für die Videostreifen zu finden. Man mottete die übertriebene Gewalt und die Ekelszenen ein und versuchte sich an einem uralten Verkaufsschlager: Sex. Dieser war in Europa weit besser gelitten als die Gewalt (vice versa in den USA), und in Verbindung mit Sport und Musik, konnte man daraus eine Art Tanzfilm zimmern.
„Murder Rock“ lässt unweigerlich an „Flashdance“ (einer der Alternativtitel lautet sogar „Slashdance“) denken: Die verschwitzten, halbnackten Mädchen in Spandex und Stulpen, die ihren Körper bis zur völligen Erschöpfung quälen, um es an die Spitze der Tanzszene zu schaffen. Dazu der billige Discopop von Keith Emerson und ein Musikvideolook (gesehen durch die „Augen“ einer Überwachungskamera!), der hier tatsächlich Ausdruck des Wahnsinns ist.
Man merkt jedoch deutlich, dass Fulci dieser Art von Film und seinen Protagonisten nicht wohlwollend gegenübersteht, das hält ihn aber keinesfalls davon ab, den „Todestanz“ mit einer mehrminütigen Breakdancesequenz zu eröffnen, die zu dieser Zeit zwar in Mode gewesen ist, aber mit dem folgenden Aerobic-Geturne nur wenig zu tun hat. „Murder Rock“ stellt sich gegen die Tänzer und ihre Welt, lässt Cosimo Cinieri in der Rolle des Lieutenant sogar sein Gefallen am Ausknipsen der Hupfdohlen betonen. Kein Wunder, sind die Charaktere doch oberflächliche und intrigante Schnösel, denen niemand auch nur eine Träne nachweinen würde.
Die Kills geschehen ausschließlich durch Chloroform und eine Hutnadel. Eine eher sanfte Art zu sterben, wie es der Lieutenant ausdrückt. Die Gorehounds, die Fulci sonst freimütig beliefert, kommen hier nicht auf ihre Kosten. Dafür ist der Film exquisit fotografiert; es gibt wundervolle Farbspiele und Spiegelszenen, die sich durchaus mit Fulcis Großtaten messen können. Leider ist der Rest nicht sonderlich interessant. Über weite Strecken herrscht Langeweile, gerade wenn im Mittelteil eher „normale“ Filmbilder die Überhand gewinnen und so der öde Krimiplot unangenehm in den Vordergrund rückt.
Wie in „The Psychic“ ist auch hier wieder Schicksal ein Thema, das zum großen Plottwist führt, bevor dann endlich der Mörder feststeht. Doch was genau ist „Murder Rock“ nun? Ein Tanzfilm mit Morden, ein später Giallo, ein Slasher?
Man stelle sich einfach eine schummerige Variante von Madonnas „Hung Up“-Videoclip vor, in dem ein Keith Emerson-Sample den Platz des ABBA-Stückes einnimmt – und der Kommissar umgeht, auf der Suche nach der Hutnadel.
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