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Nick Longhetti
Der Rest ist Schweigen (Helmut Käutner, 1959)Ungefähr die erste Hälfte ist ziemlich toll, danach verliert Käutner die Nachwehen des Nationalsozialismus zunehmend aus den Augen und fokussiert sich nur mehr auf den Krimiplot.
Gestern mal wieder gesehen. Es stimmt schon, gegen Ende ist der Film nur noch ein pflichtschuldiges Auserzählen der freien Hamlet-Adaption, davor ist er aber überragend: Das Ruhrgebiet, das noch prosperierende Industriegebiet als Bindeglied zwischen Vergangenheit und damaliger Gegenwart, in einem unfassbar monochromen Schwarz-Weiß, das ist – gerade bei den Sequenzen, in denen die Szenerie aus offensichtlichen Rückprojektionen besteht – visuell ein einziger Albtraum. Selbst die Außenszenen in Welles‘ „Prozess“ sind nicht unheimlicher! Es gibt diese Szene, in der Hardy Krüger morgens aus dem Fenster schaut und seitlich durch das Glas ein Mädchen hinterm Vorhang sieht, dann den Blick nach vorne dreht und nichts weiter als Stahl, Feuer, Ruß und Dreck vor sich erkennt: Die Hölle auf Erden. Für diese Deutschland-Bilder aus den 50ern und 60ern, die sich allem versperren, was man heutzutage vom damaligen Kino erwartet, bin ich bereit, Käutner bis ins letzte Filmbild zu verteidigen.
Ich fresse übrigens freiwillig eine Wagenladung Steinkohle, wenn das, nach „Ludwig II.“, nicht schon wieder ein Käutner-Film ist, den Lars von Trier gesehen haben muss: „Europa“ lehnt sich nicht nur ästhetisch an „Der Rest ist Schweigen“, sondern gerade auch inhaltlich (die schuldhafte Industriellenfamilie in der Nachkriegszeit) – vielleicht sollte die Filmwissenschaft mal langsam den Augenmerk von so langweilig offensichtlichen und längst zu Tode analysierten Bezugspunkten wie Tarkowskij wegbewegen?
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A Kiss in the Dreamhouse