Re: Der letzte Film, den ich gesehen habe (Vol. II)

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Psycho Legacy
(Regie: Robert V. Galluzzo – USA, 2010)

Die „Psycho Legacy“ folgt dem unauslöschlichen Erbe der „Psycho“-Filme und zeigt mit vielen prominenten Filmemachern der Neuzeit, warum „Psycho“ bis heute nichts von seiner Spannung und Intensität verloren hat. Dabei wird deren Langlebigkeit und Erfolg untersucht, nicht gezeigte und sehr seltene Interviews und Fotos von Anthony Perkins werden mit Interviews von Robert Loggia, Olivia Hussey, Henry Thomas, Diana Scarwid, Tom Holland, Hilton Green, Mick Garris und vielen mehr verflochten.

Sobald ich als Knirps herausgefunden hatte, wie man den Videorekorder meiner Eltern bedient, habe ich Horrorfilme aus dem Nachtprogramm der Privatsender und der Öffentlich-Rechtlichen aufgezeichnet. Darunter waren zu Beginn auch die ersten drei Teile der „Psycho“-Reihe um Norman Bates, der von Anthony Perkins dargestellt wurde. Später folgte auch Teil 4, den ich zusammen mit meinem Cousin in der Videothek auslieh.
Lange Zeit war das mein Grundstock an Horrorfilmen (zusammen mit „Halloween“, „Night Of The Living Dead“, „Lebendig begraben“ und einer gekürzten TV-Fassung von „A Nightmare On Elm Street“), die ich mir regelmäßig ansah.
„Psycho Legacy“ ist eine knapp 90-minütige Dokumentation, die nicht nur Alfred Hitchcocks Original, sondern allen Pre- und Sequels den gleichen Platz einräumt und sie mit ähnlicher Begeisterung bespricht, wie den Kultklassiker des Gräuelkinos. Dabei werden nicht nur die filmischen Vorzüge des Erstlings herausgestellt, sondern man kann durchaus erahnen, dass „Psycho“ auch ein Promostunt war und sehr gut über die vielen Werbegags funktionierte, die sich Hitchcock ausgedacht hatte. Etwa die Idee, keine Zuschauer mehr nach Filmstart in den Saal zu lassen. Oder das Publikum beim Indianerehrenwort zu nehmen, das Ende nicht Freunden und Familie preiszugeben. Dazu viele kleine Tabubrüche (die frühe Ermodung eines Stars, die Toilettenszene) und sexuelle Anspielungen, die man so in Hollywood noch nicht gesehen hatte.
Durch Erinnerungen der Mitwirkenden und über Anekdoten wird außerdem deutlich, dass Hitchcock sich weit weniger auf seine Storyboards versteifte und einen besseren Umgang mit Schauspielern pflegte (sogar ihre Ideen einbezog!), als dies sonst gemeinhin kolportiert wird.
Die größte Freude bereitet „Psycho Legacy“ aber durch seinen Umgang mit den Fortsetzungen, die hier ausgiebig gewürdigt werden. Man sollte dies nicht falsch verstehen: Die Dokumentation von Regisseur Robert V. Galluzzo ist kein unkritisches Schulterklopf- und Jubelfest, wie es einem gerne als „Making Of“ auf Kauf-DVDs untergeschoben wird. Sie zeigt aber vor allem die Teile 2 und 3 in einem weitaus günstigeren Licht, als Kritiker es sonst auf sie werfen, wenn sie nicht sowieso eher im Dunkeln verschwinden.
Und das in meinen Augen völlig zurecht. Gerade „Psycho II“ ist ein absolut akkurates Werk, das mehr als 20 Jahre nach dem Original eine behutsame Modernisierung vornimmt und – ebenfalls völlig gelungen – Norman Bates Geschichte weiterspinnt.
Anthony Perkins hat dies sicherlich ähnlich gesehen, denn er arrangierte sich nicht nur mit der Rolle, die man seit Alfred Hitchcocks Thriller mit ihm verband, sondern er hatte auch Spaß daran die Figur Norman Bates weiter auszugestalten, so dass er bei „Psycho III“ zusätzlich die Regie übernahm. Die meisten Mitwirkenden waren sehr beeindruckt, mit welcher Ernsthaftigkeit Perkins sich auf diesen Film vorbereitet hatte und mit welcher Leichtigkeit und Hingabe er Cast und Crew führte.
Als dann in „Psycho IV – The Beginning“, einer TV-Produktion, der aufstrebende Filmemacher Mick Garris, den man heute vor allem für seine Stephen King-Verfilmungen kennt, die Regieaufgaben nach eigenem Gusto ausführte, verstimmte dies Perkins sehr und er ließ es auf dem Set zu offenen Machtkämpfen kommen – durchaus zum Wohle des Films, wie Mick Garris in einem der Interviews bestätigt.
Sicher sind die anberaumten 90 Minuten eine geradezu lächerliche Zeitspanne, um sich den vier „Psycho“-Filmen ausgiebig widmen zu können, noch mehr, wenn man z.B. auch die Entstehung der Filmmusik (u.a. von Bernard Herrmann und Jerry Goldsmith) und den Blickwinkel der Fans auf die Reihe einbeziehen will. Hier hat die DVD von Ascot Elite aber einen wahren Trumpf im Ärmel: Unter dem Menüpunkt „Extras“ befinden sich ca. 20 Minuten der gekürzten Szenen und so gut wie alle (!) Interviews in einer längeren, manchmal auch ungekürzten Fassung, die für „Psycho Legacy“ verwendet wurden. Nicht nur das, auch einige Featurettes rund um „Psycho“-Themen sind vorhanden.
Falls man nicht nur an Alfred Hitchcocks Sicht der Dinge interessiert ist, dürfte dies die umfassendste filmische Widmung sein, die „Psycho“ jemals wiederfahren ist. Natürlich ist hin und wieder ein Kommentar durch Nostalgie getrübt, die Beteiligten gehen aber ansonsten erstaunlich offen und ehrlich miteinander um; Platz für Kritik ist immer gegeben. Eine klare Empfehlung für Fans der Reihe, alle anderen sollten sich Teil 2, 3 und 4 wenigstens mal ansehen und dann hierauf zurückkommen.

Trailer

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