Re: Der letzte Film, den ich gesehen habe (Vol. II)

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God Told Me To
(Regie: Larry Cohen – USA, 1976)

In New York kommt es zu mehreren schrecklichen Anschlagserien, Sniperszenarien oder Amokläufen von scheinbar unbescholtenen Bürgern, die, nach dem Grund ihrer Gewalttaten gefragt, alle äußern, Gott habe es ihnen befohlen. Für den ermittelnden Polizeilieutenant Nicholas eine verzwickte Situation, ist er doch selbst gläubiger Katholik, was ihn davon abhält, sich scheiden zu lassen, obwohl er seit einiger Zeit ein Verhältnis hat. Doch je weiter er in dem Fall ermittelt und forscht, um so mehr gerät sein Weltbild ins Wanken, denn alles scheint mit einem gewissen Bernard Philips zusammen zu hängen, der von seinen Anhängern als Gottes Sohn gesehen, als Frucht einer unbefleckten Empfängnis. Doch das ist noch nicht das Ende von Nicholas Entdeckungen…

Ich sah Regisseur Larry Cohen, der unter Horrorfans vor allem für die „It’s Alive“-Reihe (die in Deutschland unter den Titeln „Die Wiege des Bösen“, „Die Wiege des Satans“ und „Die Wiege des Schreckens“ vertrieben wurde) bekannt und beliebt ist, zuletzt in einem Interview mit einem Kulturmagazin des Senders 3sat, in dem er stolz und vergnügt davon erzählte, wie ihm seine Arbeit an dem kleinen Blaxploitation-Klassiker „Black Caesar“ zu einigen Bekanntschaften mit lokalen Gangstergrößen verhalf. Unter deren Schutz konnte er ohne Drehgenehmigung operieren und hatte zu einem Teil New Yorks Zugang, den Hollywoods Filmemacher meistens meiden mussten.
Diese nonkonforme Art zu filmen, griff er auch in „God Told Me To“ wieder auf, wo er das Attentat eines Polizisten während des St. Patrick’s Day inszenierte – innerhalb der gerade stattfindenden Parade der irisch-stämmigen Bevölkerung New Yorks! Nebenbei wäre vielleicht noch zu erwähnen, dass der legendäre Komiker Andy Kaufman hier seine erste Filmrolle als schießwütiger Cop hatte, die nicht ganz ohne Zwischenfälle ablief. Kaufmans provozierende Art brachte die Zuschauermenge in Rage und Teile der Crew mussten ihm zur Hilfe eilen, so dass er nicht verprügelt wurde.
In „God Told Me To“ nutzt Larry Cohen geschickt die sattsam bekannte Ausgangssituation des Kriminalfilms bzw. Cop-Thrillers, um durch leichte Verschiebungen Irritationen zu erzeugen, die in einem farbgewaltigen Finale eskalieren, das einen bitterbösen Kommentar zur Existenz eines Gottes bereithält. Es ist eigentlich nur ein kleiner Schritt vom snipernden Serienkiller auf dem Dach eines der New Yorker Wassertürme (hier gleichzeitig lebenspendendes Reservoir der Hochhaus-Metropole und todbringender Hort des Killers) bis zum ohrfeigenscheppernden Ende des Heilands, der Verderbnis und Leid über die Menschheit bringt.
Darin sind die drei großen monotheistischen Religionen seit Jahrtausenden ungeschlagen; deshalb ist unter anderem die Bibel ein so reichhaltiger Fundus, wenn es um Gründe, Symbole, Inspirationen und Geschichten für Horrorfilme geht.
„God Told Me To“ ist jedoch kein reinrassiger Horrorfilm und über weite Strecken auch sehr nüchtern inszeniert. Die schillernden, verschrobenen Sci-Fi-Anteile, die mit Marias Empfängnis aus der Bibel verbunden werden, lassen Cohens exploitatives Werk erstmals den Boden der „Realität“ verlassen (nicht verlieren!), den er aber immer wieder aufs Neue kreiert, gerne auch unter Zuhilfenahme von Blaxploitation-Elementen. (Diese sind eine wichtige Kontinuität und Zutat in Cohens Werk und tauchen immer wieder auf, zuletzt in „Original Gangstas“ von 1996.)
Das furiose und farbenprächtige Finale konfrontiert Hauptfigur Peter Nicholas, gespielt von Tony LoBianco („The Honeymoon Killers“), endgültig mit seiner Vorstellung von Glaube und der Leidenschaft, die dahintersteht. Er erkennt seinen Ursprung, ist davon so abgestoßen wie fasziniert und lehnt im letzten Moment die „Einswerdung“ (ja, Drehbuchautor Cohen hatte sicher vorher mal Kontakt mit LSD) ab, die ihm die Christusfigur im Keller mit seiner Vulva-ähnlich pulsierenden Speerwunde anbietet.
Im Abspann widmet Larry Cohen (hier Produzent, Autor und Regisseur in Personalunion) seinen Film Bernard Herrmann, dem weltberühmten Komponisten (z.B. „Psycho“ und eben auch „It’s Alive“), der eigentlich die Musik für „God Told Me To“ komponieren sollte, aber (nur einen Tag nachdem er die Aufgabe übernommen hatte) starb. Besagten „Psycho“ greift man dann auch auf und filmt eine Szene, die den Tod von Milton Arbogast in Hitchcocks Gräuelklassiker zitiert; Hermanns kreischende Geigen kommen ebenfalls zum Einsatz.
„God Told Me To“ ist nicht nur ein weiterer B-Film aus den 70ern, er ist ein abgefahrenes und bissiges „midnight movie“ mit Haltung und einer klaren Aussage: Religiöser Fanatismus wird niemals sterben. Aber du wirst es.

Trailer

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