Re: Der letzte Film, den ich gesehen habe (Vol. II)

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napoleon-dynamite
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Die Rote von Helmut Käutner

Ruth LeuwerikDer lief auf der Berlinale, und es war ganz trostlos. Aber die Arbeit war sehr schön.

So hätte es auch sein können: Von den regennassen Steinen des Piazza di San Marco in Venedig scheuchen Taubenschwärme auf, dazwischen spaziert Ruth Leuwerik – sie hat auffallend rote Haare, das sagen ihr alle, denen sie begegnet, aber als Zuschauer sieht man das nicht, denn der Film ist in schwarz-weiß. Aus dem Off ihre Stimme, etwas müde, sicherlich überreizt, resignativ und doch erstaunlich mädchenhaft und jung (bei den Dreharbeiten war Leuwerik 38). Von Venedig hört man nicht viel, unentwegt sind es die kreisenden, zu keinem Ende kommenden Gedanken, die sich über die Stadt legen – vor einigen Jahren habe ich den Film schon einmal gesehen und obwohl ich sofort in ihn verliebt war, dachte ich auch: Was redet sie denn die ganze Zeit, warum hört das nicht mal für einen Moment auf, Käutner möchte Antonioni sein, muss aber alles fortlaufend kommentieren, überlässt nichts der Suggestivkraft der Bild. Eigentlich ist der Effekt aber ein ganz anderer. Einzigartig, wie ich es in keinem anderen Film gesehen habe: Die gesprochenen Beziehungsbanalitäten rücken ganz nah heran, die Logik der Gedanken auf der Leinwand wird zunehmend die eigene, bis man die Stadt so sieht wie diese Frau, die durch sie läuft: Wunderschön und übervoll an Impressionen, aber doch weit weg und wenig plastisch. Etwas, in das sich nicht eindringen lässt. In einem Film von Helmut Käutner?

Ja, in einem Film von Helmut Käutner: Übersah sah man zu Lebzeiten leichtfertig seinen Hang zum Ambitionierten (es gab keine ernstzunehmende Filmkritik), so tat man ihn später nur allzu oft als schwerfällig ambitiös ab (es gibt die leidlich gebildete Filmkritik, die das deutsche Kino nur vom Autorenfilm der 70er her denkt). Dabei ist es die kluge Leichtigkeit, die einen sofort für „Die Rote“ einnimmt. Das Ineinandergreifen von Intellekt und sinnlicher Form, wie ohne jegliche Anstrengung, obwohl Käutner zeitlebens an diesem schwerelos-gescheiten Ton schliff. 1962 gelang ihm diese Verbindung formvollendet, wird sie ansonsten nicht bis heute im deutschen Film als Widerspruch empfunden?

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A Kiss in the Dreamhouse