Re: Der letzte Film, den ich gesehen habe (Vol. II)

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napoleon-dynamite
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tina toledoDarüber lässt sich zumindest debattieren.

Ja, natürlich. Ich halte von diesen starren Rückschlüssen aus Filmen auf ihre Macher auch überhaupt nichts. Lars von Trier (den ich ja auch mag, zumindest wenn er nicht offscreen das Arschloch gibt) ist eine recht ambivalente und schwierige Persönlichkeit, denke ich. Von Björk und Nicole Kidman über Kirsten Dunst hat sich, Charlotte Gainsbourg als wiederkehrende und mittlerweile auch mehr als bloß interpretierende Film-Partnerin außen vor, noch jede Hauptdarstellerin in den dunkelsten Tönen über ihn geäußert, bis hin zum Vorwurf psychischen Missbrauchs. Dennoch führt das natürlich nirgends hin, seine Filme als symptomatischen Ausdruck eines bestimmten Geschlechterrollenverständnisses zu sehen. Ich vermute eher, dass Trier gerade in den beiden Hauptfiguren von „Nymphomaniac“ die markanten, widerstreitenden Fliehkräfte seiner eigenen Psyche sieht – und der masochistische, selbstzerquälte Teil drückt sich in seinen Filmen seit jeher bevorzugt durch weibliche Rollen aus. Das ist kritisierenswert, aber andererseits besitzen seine besten Filmen auch keinen wesentlichen glorifizierenden Zug, sondern thematisieren eben die Schwierigkeit der eigenen Widersprüche. „Nymphomaniac“, das ist kein Bericht, sondern nun mal ein Dialog!

tina toledoHmm, ab wann denn ca.? ;-) Mein spätester Godard war bisher „Alphaville“, in dessen Zukunftsszenario (!) jedenfalls nehmen ja ausnahmslos alle Frauen Bedienstetenrollen oder love interests für Männer ein und/oder werden irgendwie gerettet, Entscheidendes wird unter Männern verhandelt.

Ab 1961 würde ich sagen, „Une femme est une femme“ und „Vivre sa vie“ waren schon bereits sehr komplexe Reaktionen auf die weiblichen Filmmythen, die Godard in „À bout de souffle“ indirekt noch recht unbedarft wiederholt und durch Zitate reproduziert hatte. Seine Filme aus den 60ern sind ja alles keine Erzählungen, sondern Meta-Filme über populäre Genres wie Crime Fiction, Sci-Fi, Musical, beziehungsweise darüber, wie diese reale Alltagsbeziehungen im sozialen, politischen, Gender-Sinne etc. prägen. In Interviews mit JLG aus dieser Zeit findet man immer wieder die gleichen Aussagen: Er will nichts im eigentlichen Sinne erzählen, aber für die Gedanken, die er hat (und die z.B. zeitgleich jemand wie Chris Marker deutlich unpopulärer in Essay-Filmen thematisiert) benötigt er einen massenwirksamen Rahmen – deswegen benutzt er als Klammer eben möglichst abgeschmackte und seichte Storyboards, meistens aus Pulp-Romanen, Groschenheften oder Comics entlehnt. Beißt man sich in diesen Plots hingegen fest, bringt man sich, zumindest meiner Meinung nach, um den meisten Spaß. „Alphaville“ bsw. ist ja nicht Godards Vorstellung davon, wie die Zukunft aussehen sollte, sondern ein konkreter Kommentar zu Paris im Jahr 1965, dessen einziges sichtbares Sci-Fi-Element nichts weiter als eine von unten beleuchtete und gefilmte Heizung ist. Diese unmittelbare Rückkopplung der Zukunftsfantasie an eine Gegenwart, der man auch im Kino nicht entfliehen kann, gelingt erst wieder Fassbinder mit „Welt am Draht“, wo Eddie Constantine nicht von ungefähr wieder seine Rolle aus „Alphaville“ spielt.

tina toledoWoody auf Europa-Tournee halt. So wird Berlin in fünf Minuten abgefrühstückt und er gibt sich weiterhin den französischen und südeuropäischen Gegenden mit stärkerem Deko-Faktor hin.

Ja, ich sehe da in dem Film auch nichts weiter. Woodys Eurotrip-Filme haben aber oftmals so einen unabweisbar banalen Charme, dem ich mich selten wirklich entziehen kann. Mochtest du „Midnight In Paris“?

tina toledoEinen interessanteren Artikel hätte man m.E. aus einem Fokus auf diese weiblichen Regisseure machen- und zumindest einen Hinweis darauf geben können, dass in punkto weiblicher Charaktere das Serien-Format und der Diskurs drumrum im Jahre 2014 schon eine ganz Ecke weiter ist als der Film.

Ja, das ist doch alles viel spannender, als Botho Strauß nochmal zu entstauben.

Ansonsten: „Boyhood“ fängt auch für mich zumindest sehr stark an.

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