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latho(um mal das Wort „Krieg“ nicht zu gebrauchen)
Okay. Fair enough.
lathoAnders formuliert: wenn nicht dort, wo dann?
Stimmt, „Roma“ ist so einleuchtend Neorealismus wie „À bout de souffle“ Nouvelle Vague. Ich habe aber trotzdem den Eindruck, dass der Begriff bislang etwas hinderlich ist, weil vieles, was unmittelbar danach passiert, eben deswegen keine Erwähnung mehr findet, die Entwicklung scheinbar schwerer beschreibbar wird. Rossellini fällt ab den 50ern zunehmend aus Rastern, „entfernt sich von seinen Wurzeln“, wie es oftmals etwas treudoof heißt. Anfang der 60er sind die Koordinaten dann wieder recht klar, mit der ersten Welle nach der nouvelle (Pialat, Eustache, Garrel) wird alles wiederum schwammiger etc.
latho
Rossellini als Erneuerer: wegen Roma oder wegen Viaggio (oder beiden)?
Rossellini wegen: Rossellini! Bis zu seinen späten Geschichtsfilmen, die wegen starrer Kamera und didaktischem Auftrag als Schulfernsehen verlacht wurden, heute aber wie das fresheste TV-Serien-Konzept überhaupt wirken würden.
„Roma“ ist als Erstschlag sicherlich bedeutender, aber ich mag „Paisà“ auch lieber. Das ist vielleicht der mutigste Film überhaupt – weil Rossellini darin begrifft, welche Härte der Blick einer Kamera besitzen kann und trotzdem vor nichts zurückweicht. Das Gegenteil von heutigen „Was darf man zeigen“-Debatten. Godard wiederum schrieb Mitte der 50er, dass für ihn die wichtigsten und folgenreichsten Rosselllini-Filme, jene mit Bergman seien – weil die Art, wie Rossellini Filme drehe, nicht nur etwas über Kriegssituationen ausdrücke, sondern auch banalen Alltag anders, zeitgemäß darstellbar macht (das meinte ich mit dem etwas blöden „Liebe ist Krieg“).
motörwolf
Kann ein Film auch nicht kontemporär sein?
Ja, ich finde schon. Der deutsche Heimatfilm der 50er-Jahre erzählt z.B. eine ganz andere Geschichte von Gegenwart (jetzt mal ganz schematisch gesagt, auch da gibt es extrem geile Sachen, die nicht in so ein s/w-Raster passen) – da wird einfach ewig nach hinten projiziert, bis die Welt in jeglicher Hinsicht scheinbar heil ist. Kontemporär heißt für mich mit der Zeit, zeitgemäß, bedeutet aber nicht, dass man in Filmen unbedingt das Hier und Jetzt zeigen muss, sondern einfach nur begreift, dass die Erfahrungen die man persönlich, kollektiv, national, whatever macht, auch die Art verändern, wie man Filme dreht. Ein Western aus den 30ern ist deswegen auch nicht das gleiche wie einer aus den späten 50ern.
Ansonsten: Was ich hier so schreibe, ist auch nicht annähernd so wichtig wie die Filme selbst. Falls du noch nicht auf Tuchfühlung mit Rossellini gegangen bist: Nicht im Internet in irgendwelchen Foren abhängen, sondern rein mit dem Shit!
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A Kiss in the Dreamhouse