Re: Der letzte Film, den ich gesehen habe (Vol. II)

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fifteenjugglers
war mit Benno Fürmann in Afghanistan

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27.03.14

„La grande bellezza“ von Paolo Sorrentino (Italien, Frankreich 2013).
Sorrentinos Tragikomödie um einen alternden Journalisten mit schriftstellerischen Ambitionen, der seit 40 Jahren das Partyleben der römischen High Society genießt, gewann den diesjährigen Oscar für den besten fremdsprachigen Film. Handlung gibt es nicht viel – Toni Servillo streut als Jep Gambardella hier und da seine bissigen Kommentare, er findet eine unwahrscheinliche Seelenverwandte in Gestalt einer alternden Stripperin, die aber schon bald darauf stirbt. Er interviewt eine an Mutter Teresa gemahnende Heilige, die sanft karikiert wird. Außerdem geistert noch Jeps große Liebe von vor 40 Jahren durch den Film. Visuell und was das Figurenensemble betrifft, belehnt Sorrentino überdeutlich Fellini. Das alles sieht oft ziemlich großartig aus, und alleine deswegen schon lohnt sich der Film. Bewegendes, Berührendes oder irgendeinen Erkenntnisgewinn sucht man allerdings vergebens.

28.03.14

Im Kino: „Henry: Portrait Of A Serial Killer“ von John McNaughton (USA 1986).
Becky (Tracy Arnold) quartiert sich auf der Flucht vor ihrem Ehemann bei ihrem Bruder Otis (Tom Towles), einem schmierigen Chicagoer Kleinkriminellen ein. Doch der hat schon einen Mitbewohner: Knastkumpel Henry (Michael Rooker) ist scheinbar ein netter Kerl, vielleicht ein wenig seltsam. Doch unter der „Guy next door“-Oberfläche verbirgt sich eine tief gestörte Persönlichkeit.
In weiten Teilen angelehnt an die Geständnisse des echten Serienkillers Henry Lee Lucas, entstand 1985 dieser Eiterpickel von einem Film in einem Zeitraum von gerade einmal vier Wochen, für lächerliche 110.000 Dollar. Die Atmosphäre als beklemmend zu beschreiben ist eine Untertreibung. Zahlreiche Close Ups und generell sehr enges Framing tragen das Ihre dazu bei. Das Casting ist perfekt, allen voran Michael Rooker in seinem Spielfilm-Debüt. Es gibt Berichte, nach denen er am Set die ganze Zeit in seiner Rolle blieb. In Anbetracht der Überzeugungskraft, mit der er hier den emotional gestörten Psychopathen gibt, scheint das glaubwürdig. Dabei trägt er, wie auch die beiden anderen Hauptdarsteller, nie zu dick auf. Die beste Nebenrolle spielt Henrys vernarbter Chevrolet, der mit seinen Dellen und Rostkratern weit unheimlicher in Szene gesetzt wird als der Truck aus „Duel“. Must see.

30.03.14

„Mädchen in Uniform“ von Leontine Sagan und Carl Froelich (Deutschland 1931).
Das Drama um eine Schülerin, die sich in einem preussisch-strengen Internat in ihre Lehrerin verliebt, kennt man wohl eher in der Fassung mit Romy Schneider von 1958, die im Allgemeinen als etwas bieder bewertet wird. Die Fassung von Leontine Sagan ist direkt in ihrer Kritik am preussischen Drill und überzeugt vor allem durch ihre Schauspieler. Leider gibt es ein paar Redundanzen und das lesbische Thema wird etwas unentschlossen behandelt (letzteres wohl auf Veranlassung von Carl Froelich, der als künstlerischer Leiter fungierte). Trotzdem ein Film, den man mögen muss.

01.04.14

„Eine Stadt wird erpresst“ von Dominik Graf (Deutschland 2006).
Die Stadt Leipzig wird von Unbekannten erpresst, die mit Bombenanschlägen auf Infrastruktur und öffentliche Gebäude drohen. Uwe Kokisch ermittelt als zerknautschter Kommissar Kalinke, der mit seinem Volkspolizei-Hintergrund nicht mehr so recht in die kernsanierte Stadt mit ihren glitzernden Glasfassaden passt, weswegen er auch längst auf der Abschussliste steht. Die Spur führt in ein vom Braunkohletagebau bedrohtes Dorf, wo der Ermittler mit seiner eigenen Vergangenheit konfrontiert wird. Ein überdurchschnittlicher Thriller von Dominik Graf, der auch Elemente aus anderen Genres integriert, wobei im letzten Drittel vor allem der Western deutlich anklingt.

02.04.14

Im Kino: „Das bittere Leben“ von Damiano Damiani (Italien 1961).
Ein seit Jahren am finanziellen Abgrund balancierender Bauunternehmer (Sergio Fantoni) bekommt von einem Kreditgeber die Daumenschrauben angelegt und sieht nur noch einen Ausweg: den Mann zu beseitigen. Um sich nicht selbst die Hände schmutzig zu machen, gibt er den Mord bei einem ebenfalls verschuldeten kleinen Mechaniker (Alberto Lupo) in Auftrag. Damianis sozialkritisches Drama überzeugt durch die konfrontierende Gegenüberstellung extrem unterschiedlicher Gesellschaftsschichten sowie insbesondere durch seine exzellente Fotografie, ist aber insgesamt etwas dröge geraten.

03.04.14

Im Kino: „Viele kamen vorbei“ von Peter Pewas (Deutschland 1956).
Multiperspektivisch inszenierter Serienkiller-Thriller um einen Mädchenmörder, der sein Unwesen entlang der deutschen Autobahnen treibt. Der Film erinnert mit seiner Noir-Fotografie und seinen Naturimpressionen mehr als nur ein bisschen an „Night Of The Hunter“ und dessen Schauermärchen-Stimmung. Gleichzeitig wirkt er jedoch auch stärker in der damaligen deutschen Gegenwart verankert als das Gros der bundesdeutschen Filmproduktionen jener Jahre. Die Besetzung ist ziemlich toll, allen voran Harald Maresch als Triebtäter Reschke. Last not least ist der Film richtig, echt, wirklich spannend.
„Viele kamen vorbei“ übertrifft nicht nur den thematisch ähnlichen Film „Es geschah am hellichten Tag“ bei weitem, sondern auch Siodmaks „Nachts, wenn der Teufel kam“. Einer der fünf besten (west)deutschen Filme der 50er Jahre. Mindestens.

04.04.14

„Amator“ von Krzysztof Kieslowski (Polen 1979).
Der kleine Angestellter Filip Mosz (Jerzy Stuhr) kauft anlässlich der Geburt seiner Tochter eine einfache 8mm-Filmkamera. Daraufhin wird er vom Direktor seines Betriebes dazu verpflichtet, die anstehende Jubliäumsfeier des Unternehmens filmisch zu dokumentieren. Es folgen, zeitlich parallel, die Gründung eines Amateurfilmclubs sowie die Teilnahme an einem Filmwettbewerb, wo es für Filip immerhin zu einem dritten Preis reicht. Schließlich darf Filip sogar Reportagefilme für das Fernsehen drehen, die allerdings ungeahnte Konsequenzen nach sich ziehen. Zudem hat Filip für seine neue Leidenschaft seine Familie vernachlässigt und wird daraufhin von seiner Frau verlassen. Kieslowskis Film funktioniert sowohl als ganz konkrete, glaubhafte Milieuschilderung (einzig die Reaktionen von Filips Frau erscheinen bisweilen etwas übersteigert) wie auch als Parabel für das Leben des bildenden Künstlers im kommunistischen Polen im allgemeinen. Sehr sehenswert.

05.04.14

„Lost Highway“ von David Lynch (USA 1997).
Jazzmusiker Fred Madison (Bill Pullman) wird wegen Mordes an seiner Frau zum Tode verurteilt. Im Gefängnis verwandelt er sich jedoch plötzlich in eine andere Person, den jungen Mechaniker Pete. Der Polizei bleibt nichts anderes übrig, als Pete freizulassen. Pete erlebt nun seine ganz eigene Geschichte, in deren Mittelpunkt eine brisante Affäre mit der blonden Schönheit Alice steht. Merkwürdigerweise erinnern jedoch mehrere Personen, denen er begegnet, an Personen aus dem Bekanntenkreis von Fred.
Rückblickend betrachtet wirkt der Film wie eine Vorstudie für Lynchs Meisterwerk „Mulholland Drive“. An dessen Qualität reicht „Lost Highway“ nicht ganz heran, trotzdem finde ich den Film nach wie vor sehr gut.

(Ja, o.k., zum Schluss war die Luft etwas raus. Aber doch besser als immer nur „8/10“ oder „****“.:-))

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"Don't reach out for me," she said "Can't you see I'm drownin' too?"