Re: Der letzte Film, den ich gesehen habe (Vol. II)

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irrlicht
Nihil

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gypsy tail windUnd nein, da mag ich widersprechen – einerseits war mir Manches zu sehr auf die Nase gedrückt, gerade im viel zu langen und viel zu billigen Anfang des Filmes, andererseits finde ich die Unterstellung mit der „Sinnlichkeit“ etwas frech (aber zugegeben, für „Übersinnliches“ habe ich wenig Sinn, schon das Wort finde ich hässlich, es gibt andere Wörter wie „Spirituelles“, bei denen sich bei mir wesentlich weniger Abwehrreflexe melden).

Allerdings wirst Du, falls Du meine Filmposts über die Jahre etwas verfolgt hast, wissen, dass ich an „Handlung, Spannung, Effekten und Dramaturgie“ meist ein sehr geringes Interesse habe sondern viel mehr mich von den Bildern tragen, ziehen, blenden lasse – aber im „Tree of Life“ war mir vieles wirklich zu aufdringlich, in den Sog der Bilder fand ich erst oder vor allem in der Familiengeschichte der Fünfziger. Hätte es eine Fassung des Filmes nur mit ihr gegeben (ohne Schöpfungstheater, ohne Sean Penn beim Gehen), wäre ich mit ziemlicher Sicherheit sehr begeistert (und verstört) gewesen – sowohl inhaltlich/analytisch beim anschliessenden Nachdenken wie auch unmittelbar, was die Bildsprache betrifft.

Lieber gypsy, das war ein generelles Statement und nicht auf Deine Ausführungen gemünzt. Dass Du mit spirituellen Werken, gerade auch in der Musik, keine Probleme hast, springt einem ja förmlich entgegen – ich glaube einiges an Jazz und auch Klassik kann man kaum schätzen lernen, wenn man meint, alles, was sich verkürzt Spiritualität nennt, ausblenden zu müssen. Ich finde es nur immer wieder erstaunlich, wie schnell die Warnalarmglocken bei manchem aufleuchten, sobald etwas nur entfernt „gläubig“ sein könnte. Das sagt doch im Grunde erst einmal noch gar nichts – und ist weit entfernt von Katholikenkongress, Bibelstunde und Esoterikschnupperkurs. Ganz im Gegenteil: Einige der besten Werke sind ohne ihren gläubigen, vom Leben inspirierten Charakter, ihrem tiefen Glauben, dass es eben noch weit mehr gibt, als das, was man mit Zahlen, Tonleitern und Statistiken ausbuchstabieren kann, nahezu undenkbar. Es mag in den Texten nicht immer explizit auftauchen, aber wie klänge wohl Townes van Zandt ohne seine tiefe Verbundenheit zur Natur, die fast geistlichen Charakter hat? Was wären die wundersamen Gedichte von Cohen, gäbe es in ihnen nicht den beseelten Glauben an etwas, was fern von der Wirklichkeit ist? Wie würden Hunderte von unlängst geschätzten Aufnahmen aus Country, Blues und Jazz klingen? Wie die Werke von Coltrane, Roberts und so vielen anderen? Ihnen würde es etwas ganz Entscheidendes fehlen, nämlich die Tiefe. Und die Demut. Ich glaube die meisten wirklich herausragenden Werke leben davon, dass sie über alles Rationale hinausgehen. So auch „The tree of life“. pinch hat das weiter unten schon sehr schön beschrieben, finde ich. Mehr wollte ich damit eigentlich nicht sagen.

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Hold on Magnolia to that great highway moon