Re: Der letzte Film, den ich gesehen habe (Vol. II)

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Türkisch für Anfänger
(Regie: Bora Dagtekin – Deutschland/USA, 2012)

Lena Schneider (Josefine Preuß) ist nicht zu beneiden: 19 Jahre, neurotisch, seit Jahren in Therapie und noch unberührt – was sie zum größten Teil ihrer esoterisch durchgeknallten Mutter Doris (Anna Stieblich) zu verdanken hat, die schon immer etwas anders war und jetzt gern daheim Orgasmuskurse für Frauen anbietet, wenn sie sich nicht wie eine Sechzehnjährige geriert und ständig nach jüngeren Sexualpartnern sucht.
Ein Thailandurlaub soll Abhilfe schaffen, doch schon auf dem Weg zum Flughafen haben die beiden eine unangenehmes Zusammentreffen mit der Familie Öztürk: Vater Metin (Adnan Maral) ist Kriminalkommissar und mit seinen Kindern im Zeugenschutzprogramm, Tochter Yagmur (Pegah Ferydoni) gibt die kopftuchtragende Muslima und Sohn Cem (Elyas M’Barek) will lieber als Rapper Karriere machen und hat seine Schwester unter der Fuchtel.
Prompt landet man nicht nur im selben Flieger, sondern auch noch auf benachbarten Plätzen, wo Lena und Cem sofort nach Kräften aufeinander losgehen können – bis die Maschine notwassern muß. Während die meisten Passagiere gerettet werden und nach Thailand überführt werden, stranden die drei Jugendlichen, komplettiert durch den stotternden Griechen Costa (Arnel Taci), mit ihrer Rettungsinsel auf einer scheinbar unbewohnten Tropeninsel.
Prompt gestaltet sich der Kampf ums Überleben als ziemlich schwierig, denn Lena ist eine verkopfte Zicke, Cem spielt sich als viriler Anführer auf, die gar nicht so prüde Yagmur intrigiert und fordert Costa wiederum heraus…

Deutsche TV-Serien sind der Fluch des Fernsehens, vor allem wenn sie am Vorabend stattfinden. Dröge, uninspirierte Ware vom Fließband, die immer und immer wieder den gleichen Kitsch verarbeitet. Große Ausnahmen sehe ich nur in „Stromberg“ und „Pastewka“. (Wolfgang Menges „Ein Herz und eine Seele“ thront sowieso über allem.)
Da überraschte mich vor einigen Jahren eine Serie namens „Türkisch für Anfänger“, die zwar auch quietschfidel, klamaukig und recht harmlos daher kam, deren Gagdichte aber hoch genug war, um mich bei der Stange zu halten.
Nun kam man auf die auch nicht gerade taufrische Idee einen Kinofilm zur Serie herzustellen. Ein Prequel. Warum muss man eine TV-Serie für die Kinoleinwand adaptieren? Habt ihr nichts aus „ALF – Der Film“ gelernt?
Noch dazu verlegt man das Setting auf eine verlassene Insel, womit das Spannungsfeld der Serie (alternativ-deutsche/bürgerlich-migrantische Koexistenz in einer Großstadt) beschädigt wird. Auch die zwei kontroversesten Figuren (Opa Hermann, Oma Ötztürk) bleiben somit außen vor.
Als wäre das nicht schlimm genug, darf auf der Insel noch ein Haufen Kannibalen hausen, der durch eine Anthropologin aus Darmstadt domestiziert, zivilisiert und der deutschen Sprache mächtig wurde. Treffenderweise ist Günther Kaufmann ihr Häuptling. (Und ich Naivling tippte noch darauf, dass dies sicher ein Filmteam sei, das dort einen Kannibalenfilm dreht…)
Die Schauspieler agieren auf dem Niveau der Serie, sie sind ein eingespieltes Team, das Timing ist gut, aber man merkt ihnen in jedem Moment die TV-Herkunft an. Viele Gags sitzen, erinnern aber an Ähnliches aus der Serie.
Wirklich widerlich ist dagegen die musikalische Untermalung, die von Whigfield mit ihrem schaurig-schlechten „Saturday Night“ und Cher bis hin zum popmusikalischen Müll der Neuzeit (durchseucht mit billigsten elektronischen Einflüssen) reicht. Ersteres kann man noch durch den ironischen Einsatz innerhalb des Films in einer Urlauberdisco entschuldigen, mit letzterem schielt man wohl auf ein junges Publikum, das auch noch die CD zum Kinofilm kaufen oder zumindest ein paar MP3s downloaden soll.
Ganz so schlimm wie das oben erwähnte ALF-Fiasko ist der „Türkisch für Anfänger“-Kinofilm nicht, es bleibt aber eine höchst mittelmäßige, zwiespältige Angelegenheit vom Vor- bis zum Abspann.

Trailer: http://www.youtube.com/watch?v=bhPZqBj5SfU

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