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Gainsbourg – Der Mann, der die Frauen liebte
(Regie: Joan Sfar – Frankreich, 2010)
Schon als Junge stellt sich der aus einer jüdisch-russischen Einwandererfamilie stammende Gainsbourg (Eric Elmosnino) ganz vorne an, als in Paris der gelbe Judenstern verteilt wird. Der zeichnerisch und musikalisch begabte Schüler flieht vor der SS aufs Land, kann sich aber auf die Rückendeckung seiner Klassenkameraden verlassen.
Nach dem Krieg beginnt er mit kleinen Auftritten und Kompositionen sein erstes Geld zu verdienen. Äußerlich eher schmächtig und unattraktiv, kompensiert er diesen scheinbaren Makel mit Charme und Selbstbewusstsein, der ihn bei den schönsten Frauen erfolgreich sein lässt…
Jedes Mal, wenn ich mir ein Biopic über einen Musiker anschaue, muss ich feststellen: Zu wenig Musik, viel zu wenig Musik. Ich will den Künstler beim Komponieren sehen, im Studio, vor Publikum, wie er die Texte schreibt. Will wissen, was ihn inspiriert.
Vielleicht habe ich einfach zu hohe Ansprüche oder der Rest des Publikums mag Musik nicht so wirklich, aber in „Gainsbourg“ deutet schon der deutsche Verleihtitel an, dass es nicht nur um den Künstler gehen wird.
Passend auch das Drama um Schauspielerin Lucy Gordon, die Jane Birkin spielt und sich nach Ende der Dreharbeiten in ihrer Pariser Wohnung umbrachte. Eine Geschichte wie aus einem Chanson von Serge Gainsbourg.
Dabei ist der Ansatz von von Regisseur Joan Sfar vielversprechend. Er hat wenig Lust dazu die Geschichte von Gainsbourgs Leben zu sezieren und für den Zuschauer klar und deutlich auf dem OP-Tisch aufzuklappen, er bedient sich lieber des Mythos und gestaltet ihn für die Leinwand aus. In seiner surrealistischen Herangehensweise erschafft er ein Alter Ego, genannt „Die Fresse“, die sich immer wieder in Serges Leben einmischt und auch mal fliegend die Rollen mit ihm tauscht. Sie wirkt wie eine Mischung aus einem schlaksigen Totengräber, einem hageren Bestatter und dem Count aus der Sesamstraße, zugleich bedrohlich und lächerlich. Markant: die Nase, Ohren und Spinnenfinger. Eine Projektion des Künstlers, der sich als Kind als sehr hässlich empfand.
Leider verliert diese faszinierende Herangehensweise im Laufe des Films ziemlich schnell ihren Reiz, so dass eigentlich nur Serges Kinder- und Jugendjahre davon profitieren. Später ist „die Fresse“ nur noch schmückendes Beiwerk, ein hübsches Anhängsel, das ab und zu Sprüche aufsagen darf, die die inneren Konflikte verdeutlichen sollen.
Ansonsten hält sich Sfar an die Chronologie der Ereignisse, gelegentlich unterbrochen durch kleine Rückblicke. Eher eine konservative Herangehensweise, die schmerzlich bemerkbar wird, wenn zum Ende hin (die Jahre zwischen 1970 und 1990) nur noch episodenhaft abgehakt wird, was sich in Serges Leben abspielte. Der Fokus liegt deutlich auf den 50er und 60er Jahren. Der Zuschauer sollte sich zudem schon ein kleines bisschen in Gainsbourgs Biographie auskennen, sonst kann er etwa die Tumulte um die „Marseillaise“ oder die Begegnungen mit Serges letzter Frau schlecht einordnen.
Eine Wonne ist es hingegen, wie lustvoll und exzessiv in „Gainsbourg“ geraucht wird. Wie in jeder Einstellung Alkohol bereitsteht, wie der Künstler das leidende Genie gibt. Herrlich unkritisch und aufbauend in einer Zeit, in der man seine Wohnung verlieren kann, wenn man ein starker Raucher (wie Gainsbourg es war) ist.
So genießt man den Film auch am besten: Mit einem Päckchen Gitanes, einem alkoholischen Getränk seiner Wahl (oder mehreren) und der Gewissheit, dass dies keine Biographie ist, kein fantastisch ausgestaltetes Pop-Märchen, kein Spielfilm mit dokumentarischen Zügen, sondern ein Anstoß sich tiefergehender mit der Musik und dem Leben von Serge Gainsbourg auseinanderzusetzen.
Trailer: http://www.youtube.com/watch?v=22omNMnu54Q
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