Re: Der letzte Film, den ich gesehen habe (Vol. II)

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Tristana
(Regie: Luis Buñuel – Argentinien/Spanien, 1970)

Nachdem die schöne junge Frau Tristana (Catherine Deneuve) ihe Mutter verloren hat, nimmt der Vater sie auf, mit dem sie bisher keinen Kontakt hatte. Don Lope (Fernando Rey) ist ein Freigeist, bekannt für seine Abneigung gegen kirchliche und bürgerliche Werte und beliebt aufgrund seiner Redegewandtheit und seinem Großmut. Obgleich der alternde Lebemann verheiratet ist, behandelt er seine Frau nicht besser als ein Dienstmädchen und macht keinen Hehl aus seinem fleischlichen Verlangen nach der eigenen Tochter. Schließlich nimmt Don Lope Tristana als zweite Frau. Mit der Zeit sinkt der Respekt, den Tristana für ihren Vater und Ehemann empfindet und als sie den Künstler Horacio (Franco Nero) kennen lernt, verlässt sie Don Lope…

Die Kakophonie der Kirchenglocken läutet „Tristana“ von Luis Buñuel ein. Ganz dem Wesen der Katholischen Kirche entsprechend, die einen bunten, karnevalesken Todeskult betreibt, riefen die Glocken die Menschen in früheren Zeiten ans Totenbett, zur Beerdigung oder zu den Waffen. Wie auch der Rest der Liturgie sind sie zu einem folkloristischen Trallala erstarrt; der dumpfe, hohle Ton der Glocke entspricht dem dumpfen, hohlen Wesen des Katholizismus.
Unter diesen Umständen muss die Vollwaise Tristana, die gerade ihre Mutter verloren hat, die Reise ins Haus ihres neuen Vormunds Don Lope antreten, der ihr nicht nur ein strenger Vater sein will, welcher über Tugend und Ehre wacht, sondern zugleich Liebhaber und gönnerhafter Onkel. Dabei versteht er sich seinem Wesen nach als Sozialist, der auf der Seite der Unterdrückten und Ausgebeuteten steht. Er kann aber weder seine bürgerliche Herkunft, noch seine antiquierten und chauvinistischen Vorstellungen von Ehre und Moral verleugnen. Don Lope bleibt – bei all seinen Bemühungen fortschrittlich zu sein – doch nur ein alter Patriarch, ein „echter Kerl“, ein Mann aus dem letzten Jahrhundert.
Es ist sicher kein Zufall, dass das Erstarken der Frauenbewegung mit „Tristana“ ungefähr in einen zeitlichen Rahmen fällt, behandelt Buñuel hier doch den Umgang der Männer der Arbeiterbewegung mit „ihren“ Frauen. So sehr Don Lopes Herz für die Armen und Außenseiter zu schlagen scheint, so sehr verachtet er Frauen, sieht sie als Leibeigene und Bedienstete, als Menschen ohne eigenen Willen. Natürlich besitzt er als Charmeur bürgerlicher Herkunft Mittel und Wege dies zu verschleiern und nett zu verpacken.
Weiter zeigt Buñuel kleine Emanzipationsversuche Tristanas, die zum Schluss aber in versteifter Bitter- und Bürgerlichkeit enden. Selbst neckische Spiele mit einem tauben Jüngling sind unterschwellig so von Hass aufgeladen, dass die lächelnde Tristana kalt und grausam wirkt.
Wie in anderen Filmen des Regisseurs scheint es keinen passablen Ausweg aus den zementierten Strukturen der Gesellschaft zu geben. Was bleibt ist Siechtum und Tod, eingepackt in die leeren Rituale der Kirche, begleitet vom Dröhnen der Glocken.
Man merkt, dass die Lieblingsthemen Buñuels wieder versammelt sind, er arbeitet erneut mit Catherine Deneuve und Fernando Rey zusammen – und verzichtet abermals auf surreale Momente. Lediglich seine Sprünge in der Zeit, die für den Zuschauer nicht immer sofort ersichtlich sind, geben „Tristana“ ein Gefühl der Schwerelosigkeit.
Die Verfilmung eines Romans von Benito Pérez Galdós wurde 1971 mit einer Oscarnominierung als „Bester fremdsprachiger Film“ bedacht und vereint einen großen Teil dessen, was Luis Buñuels filmisches Schaffen so außergewöhnlich macht.

Trailer: http://www.youtube.com/watch?v=bcW2EKnzXxE

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