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Viridiana
(Regie: Luis Buñuel – Mexiko/Spanien, 1961)
Kurz vor ihrer endgültigen Aufnahme ins Kloster wird die fromme Novizin Viridiana (Silvia Pinal) von ihrem Orden dazu gedrängt ihren Onkel Don Jaime (Fernando Rey) auf seinem Landsitz zu besuchen, um sich von ihm zu verabschieden. Eher widerwillig fügt sich die schöne Viridiana dem Willen des Ordens, bemerkt aber schnell, dass ihre Vorbehalte gegen den Besuch berechtigt waren. Da Viridiana ihrer verstorbenen Tante äußerst ähnlich sieht, will ihr Onkel sie nicht mehr gehen lassen und bittet sie seine Frau zu werden. Er betäubt die junge Novizin und behauptet, mit ihr geschlafen zu haben, um sie zu halten. Als Viridiana entsetzt abreist, begeht Don Jaime Selbstmord und vererbt ihr und seinem unehelichen Sohn Jorge (Francisco Rabal) das Gut. Während Jorge das heruntergekommene Land wieder kultivieren will, beschließt Viridiana, die sich mitschuldig am Tod ihres Onkels fühlt, nicht mehr in ihren Orden zurückzukehren und stattdessen eine Gruppe von Bettlern in einem Nebengebäude aufzunehmen und mit dem Nötigsten zu versorgen. Schnell zeigt der Frauenheld Jorge Interesse an seiner unnahbaren Cousine und auch das Verhalten der Bettler erschüttert schon bald Viridianas unbändigen Glauben an das Gute im Menschen…
Neben der Verachtung des Bürgertums hatte Luis Buñuel ein zweites Steckenpferd, an dem er sich gerne in seinen Filmen abarbeitete: die Kritik an der katholischen Kirche und vor allem die Benennung der Fehler, die durch deren widersprüchliche Moral und ihr allzu menschliches Bodenpersonal entstehen.
In „Viridiana“ verzweifelt eine noch zu initiierende Nonnenanwärterin an der Grausamkeit der Welt, die sich so gar nicht mit ihrem Gottesbild vereinbaren lässt, das vor allem durch viele fromme Gebete und Bibellektüre entstanden ist. Verständlich, dass sie sich wenig angetan zeigt, die schützenden Mauern des Klosters zu verlassen, um ein paar Tage in der „echten“ Welt bei ihrem reichen Onkel zu verbringen, der für ihre Ausbildung gezahlt hat; obwohl sie zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht wissen kann, wie selbstbezogen und engherzig man auf ihre gutgemeinten Dienste reagieren wird.
Anders als in seinem übernächsten Film „Tagebuch einer Kammerzofe“ verzichtet Luis Buñuel in „Viridiana“ nicht komplett auf außergewöhnliche visuelle Einfälle. Am offensichtlichsten tritt dies in der „Ora et labora“-Sequenz ans Tageslicht, in der er die arbeitenden Handwerker und die (unter Anleitung der Nonnennovizin) betenden Landstreicher in schnellen Schnitten gegenüberstellt.
Das opulente Festmahl der Armen bietet ebenfalls viele Möglichkeiten interessante Bilder zu zeigen (etwa ein Mann in einem Hochzeitskleid, eine kleine Travestieshow, die im ersten Teil des Films nur angedeutet wird), besticht aber vor allem durch eine Nachstellung des berühmten Gemäldes „Das letzte Abendmahl“, welches Buñuel (für katholische Augen) geradezu obszön verunglimpft und „ablichtet“.
Bei allem religiösen Firlefanz vergisst Buñuel jedoch nie, wer die wahren Herren über diese Welt sind und so räumt zum Schluss die Polizei (herbeigerufen durch die Besitzenden und Bürgerlichen) gehörig auf, indem sie allen Beteiligten wieder ihren Platz, ihre Kaste in der Gesellschaft zuweist, nicht ohne, dass das Bürgertum erneut die Armut der Untergebenen und Ausgestoßenen ausnutzen kann, um zu Mord und Totschlag anzustiften.
Die Ereignisse in „Viridiana“ halten für die meisten Menschen kein positives Ende bereit, bis auf den weißen, männlichen Bourgeois, der nicht nur seine Vormachtstellung restauriert; er verleibt sich auch Proletariat und Klerus ein, angedeutet in der letzten Szene von „Viridiana“, die ein Kartenspiel und Jazzmusik mit Sexualität, Potenz und einer durch den Mann bestimmten und herbei geführten Ménage-à-trois verbindet. Die Welt: ein Jammertal – ohne Hoffnung, ohne Ausweg.
Trailer: http://www.youtube.com/watch?v=x4hTSjfh7Y0
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