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Leben und Tod einer Pornobande
(Regie: Mladen Djordjevic – Serbien, 2009)
Der junge und dynamische Filmregisseur Marko hat sich vorgenommen, die serbische Filmwelt mit seiner Arbeit zu revolutionieren. Nur scheitert dieses Vorhaben kläglich, so dass er sich irgendwann daran macht, zumindest in der Pornoindustrie Fuß zu fassen. Doch auch dabei soll er kein Glück haben, so dass er sich, zusammen mit einer Bande junger Schauspieler, die zu allem bereit zu sein scheinen, auf eine Roadtour begibt, bei der er mit einem Porno-Carbaret die Leute in den kleinen serbischen Dörfern zu erreichen versucht. Aber auch das funktioniert nicht so wie geplant, bis ein alter Mann ihm ein genauso verlockendes, wie schockierendes Angebot macht…
Im Stil eines Videotagebuchs beginnt „Leben und Tod einer Pornobande“ in den 90er Jahren noch recht heiter, wenn man Filmstudent Marko bei seinen ersten Schritten im Filmgeschäft zusehen darf. Er trifft dabei nicht nur auf das Unverständnis seiner gut situierten Familie und seiner Freundin, sondern auch auf einen Filmbetrieb, der keinerlei Interesse an Kunst und sich völlig dem Kommerz verschrieben hat.
Aus Frust, Faszination und dem Fakt, dass er finanziell unabhängig von seinem Vater sein will, beginnt er Pornos für eine lokale Produzentengröße zu drehen. Doch auch hier macht er sich mit seinen außergewöhnlichen Ideen schnell unbeliebt.
Zu diesem Zeitpunkt kreist der Film noch um das Thema der künstlerischen Selbstverwirklichung, die durch monetäre Zwänge immer in Gefahr ist und auch beim Publikum kaum ankommt. Selbstironisch nimmt Regisseur Mladen Djordjevic sich und seine Kollegen auf die Schippe, wenn er als Film im Film blutige Avantgarde-Stücke wie „Das Schreien des Schweins“ zeigt. Kurz darauf realisiert Marko seinen ersten „abendfüllenden“ Pornofilm, den er mit Geldern von Produzent Cane erstellt hat. Wieder ein groteskes, künstlerisches Stück Film inklusive Ackerbegattung, Ejakulation und Zombies. Cane is not amused und besteht auf die Rückgabe seines Geldes, wozu Marko nicht in der Lage ist. Er versteckt sich bei Freunden.
Wir schreiben mittlerweile das Jahr 2000 und Milosevic ist als jugoslawischer Staatspräsident zurückgetreten. Geschickt installiert Djordjevic im Film ein Desinteresse seiner Hauptfigur am politischen Geschehen, er lässt Marko die meisten Ereignisse im drogeninduzierten Koma verschlafen. Dies ist aber nur eine Finte, sind die Auswirkungen des Balkankrieges und die Schatten der Vergangenheit doch überall deutlich spürbar. Manchmal in der reaktionären Art der Stadt- und Dorfbewohner, manchmal auch als Poster von Milosevic in einer Polizeistation.
Markos neustes Projekt wird ein Pornotheater, in dem er all das verbindet, was er vorher in seinen Filmen ausdrücken wollte: Seine künstlerisches Bemühen, freie Sexualität, gepaart mit Gewalt und Tod. Eros und Thanatos, mit einem kleinen Vorteil zugunsten von Thanatos.
Wieder pfuscht ihm Cane ins Handwerk. Er lässt seinen Bruder, einen höheren Polizeibeamten von Belgrad, das Theater schließen. Cane fordert sein Geld zurück. Marko will zahlen, sobald sein Theaterstück Gewinne abwirft. Cane ist nicht überzeugt. Cane und der Polizist schlagen Marko übel zusammen.
Marko flieht aus der Stadt, nicht jedoch ohne vorher seine Truppe zusammenzutrommeln und eine Art fahrendes Pornotheater zu gründen. Nach dem Vorbild von Ken Kesey und den Merry Pranksters bemalen sie einen Bus und beginnen ihre „Magical Mystery Tour“ durch die Dörfer Serbiens. Untermalt wird das oft von eingängiger psychedelischer Rockmusik mit kleinen Surf-Einflüssen, die extra für den Film komponiert wurde.
Bei ihren Überlandfahrten stoßen sie zunächst nicht auf die erwartete Ablehnung, die Dorfbewohner scheinen sie als Clowns wahrzunehmen. Keine künstlerische Anerkennung, aber immerhin auch keine Repressionen wie in der Stadt, wie in Belgrad. Dies ändert sich kurz darauf. Zum Schutze der Jugend des Dorfes rottet sich eine mit Fackeln und Heugabeln bewaffnete Meute Bauernlümmel zusammen (eine herrlich komische Darstellung von Jugendschutz und Filmzensur), die Marko und seine „Pornobande“ aus dem Dorf vertreiben wollen. Erschwerend kommt hinzu, dass sich mittlerweile ein Junge aus dem Dorf mit transsexuellen Neigungen und zoophilen Erfahrungen der Bande angeschlossen hat. Die Bauern überfallen schließlich das Camp und lassen ihren Zorn in einer Massenvergewaltigung freien Lauf. Männer vergewaltigen Frauen, Männer vergewaltigen Männer. Als einem Mitglied der Pornobande das Groteske an dieser Situation klar wird, beginnt es zu lachen. Nach und nach fallen seine Kumpanen ein. Eine gespenstische, bedrückende Szene.
An dieser Stelle kippt der Film. Die Ausgelassenheit, die zwar vorher schon bedroht war, verschwindet völlig. Aus Drogenkonsum wird Drogensucht. Thanatos besiegt endgültig Eros.
Gedemütigt und all ihres Geldes beraubt, willigt die Gruppe einstimmig in ein Angebot ein, das Marko von einem ehemaligen deutschen Kriegsberichterstatter der Zeitung „Die Welt“ erhält: Anstatt Tod und Zerstörung auf der Theaterbühne nur zu simulieren, sollen sie echte Snuff-Filme drehen. Der Deutsche handelt mit diesen seit dem Balkankrieg, damals waren sie aber wesentlich einfacher herzustellen, da es ein Gesetzesvakuum gab. Er versichert Marko, dass er sich um die Opfer kümmern werde, die ausschließlich aus Lebensmüden bestehen sollen, die mit ihrer „Gage“ ihre verarmten Familien unterstützen.
Ein weiterer politischer Bezug zum Krieg: Westeuropa und die USA schauen sich das Grauen von außen an, tun aber nichts, um zu helfen. Manche versuchen aus den Kriegsgräuel auch noch Kapital zu schlagen. In den Geschichten der Snuff-Opfer, die nun vor der Kamera sterben, bekommt man die Kriegsereignisse erzählt, die Marko im Schoße seines gut situierten Zuhauses und seiner ersten Drogenphase einfach ausgeblendet hatte.
Die Mordtaten werden ausgelost, durchgeführt und aufgezeichnet. Die Gruppe spielt weiterhin ihre Stücke auf der Bühne, zerfällt aber zusehends geistig wie auch körperlich.
In „Leben und Tod einer Pornobande“ mehren sich zum Ende hin die schockierenden und harten Momente, die durch den semi-dokumentarischen Stil des Films erschreckend nah am Zuschauer sind. Man bekommt schon früh pornografische Szenen und Blutiges zu Gesicht, meistens aber in der Gewissheit, dass es nur ein Spiel ist, dass es Kunst ist. Die Snuff-Hinrichtungen sind grausam, emotional auslaugend und für einen Teil des Publikums vielleicht unerträglich. In einem Interview merkte Regisseur Djordjevic an, dass sowohl die Hinrichtung eines Soldaten, als auch die vermeintliche Schächtung einer Ziege gestellt seien und keineswegs echtes Material darstellen (was einige Kinogänger befürchteten) – wie auch der Rest der Gewalttaten in „Leben und Tod einer Pornobande“.
Ab diesem Zeitpunkt wird der Film auch ein wenig vorhersehbar, denn mit welchem Ende, außer dem folgenden, soll man diesen Abstieg in die Niederungen der Barbarei beschließen?
„Leben und Tod einer Pornobande“ ist ein provokanter Film über die serbischen Verhältnisse in Kunst, Kultur und Politik, die der Balkankrieg und Schlächter wie Milosevic hinterlassen haben. Er beschäftigt sich ebenso mit heteronormativer Sexualität, deren Verankerung in der Gesellschaft und einem noch immer schwierigen Thema wie AIDS. Dabei entbehrt er keineswegs Humor und man spürt die Verbundenheit des Filmemachers mit seinen Figuren, die trotz all des Schreckens nicht ausgebeutet werden. Vermutlich sah dies auch die FSK so, anders kann man sich die Freigabe der ungekürzten Fassung des Films nicht erklären. „Wir sind auf diese Tour gegangen, um zu ficken, nicht um zu töten.“ Tipp.
Trailer: http://www.youtube.com/watch?v=nvWIUP2Py1g
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