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Die Bettwurst
(Regie: Rosa von Praunheim – Deutschland, 1970)
Als sich Dietmar (Dietmar Kracht) und Luzi (Luzi Kryn) kennen lernen verlieben sie sich unsterblich ineinander und einer gemeinsamen Zukunft scheint nichts im Wege zu stehen. Doch die verbrecherische Vergangenheit Dietmars holt das Paar schon bald ein: Alte Bekannte haben es auf Dietmar abgesehen und entführen seine Liebste. Für ihn wird es nun Zeit endgültig mit seiner Vergangenheit rein Tisch zu machen und das bevor seiner großen Liebe Luzi etwas passiert…
Die Inhaltsangabe beschreibt haarklein, was in Rosa von Praunheims Trashfilm passiert, interessant ist aber vor allem, auf welche Art und Weise es geschieht. Mit völligem Dilettantismus und einer erfrischenden Naivität stolpern zwei Laiendarsteller durch eine Liebesgeschichte mit einem Schuss Krimi, die man vom üblichen Hollywoodformat auf die Größe der deutschen Provinz eingekocht hat. Hier regieren die Ungedanken der schweigenden Mehrheit, ein Festival des Spießertums der Kleingärtner. Dem Volk aufs Maul geschaut und in breitester Mundart dargeboten, höchstwahrscheinlich zu einem großen Teil improvisiert.
Zuletzt war der Ludwigshafener/Mannheimer-Dialekt wieder relativ präsent im Fernsehen, ausgelöst durch den Hype um Familie Katzenberger, die die Sendeslots im RTL-Universum besetzte, aber nie eine Wirkung wie Dietmar Kracht entfalten konnte, da man ihnen Pose und Selbstironie jederzeit anmerkt. Dietmar Kracht ist echt, er sprudelt von innen nach außen. Er glüht, während Luzi Kryn nur glimmt und sich immer mal wieder mit einem Blick zur Kamera versichern muss, ob das auch klargeht, was sie gerade dargeboten hat. Der Ton ist eine Katastrophe, der Schnitt schlecht und das Filmmaterial bescheiden.
Trotzdem ist „Die Bettwurst“ einer der unterhaltsamsten deutschen Filme. In jeder Szene reiht er Brüller an Brüller, kommt dabei aber auch erstaunlich subversiv daher: Der Traum der Spießer, Familienidyll mit Haus und Gärtchen, wird hier von einem stockschwulen Ex-Kleinkriminellen und einer älteren Dame gelebt. Eine Kombination bei der dem röhrenden Hirsch das Geweih aus der Fassung fällt.
Gleichzeitig bleibt der Film auch aktuell. Als weit nach 1970 Geborener kommt mir vieles seltsam bekannt vor und ich meine auch den einen oder anderen Dialog in ähnlicher Version schon am Kaffeetisch der Verwandtschaft belauscht zu haben. Ganz großartig, wie sich hier eine fast naturalistische Dokumentation des BRD-Spießers mit einem überdrehten Trashfilm vermengt. Bei all den Tränen, die man während „Die Bettwurst“ gelacht hat, könnten sich auch ein paar kleine Tränchen der Trauer darunter gemogelt haben: Dietmar Kracht ertrank nur wenige Jahre später unter mysteriösen Umständen.
Ich habe schon zuviele Worte über Rosa von Praunheims Trash-Geheimtipp verloren. „Die Bettwurst“ muss man gesehen haben. Wirklich.
Ausschnitt: http://www.youtube.com/watch?v=Q-07apxVJ2Q
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