Re: Der letzte Film, den ich gesehen habe (Vol. II)

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Dahmer
(Regie: David Jacobson – USA, 2002)

Szenen aus dem Leben des Serienmörders Jeffrey Dahmers, der in Milwaukee nachgewiesen über einen Zeitraum von 14 Jahren 17 junge Männer tötete. Dahmer (Jeremy Renner) ist schon in jungen Jahren ein starker Alkoholiker, dessen Elternhaus und Umgebung nichts von den Abgründen des jungen Mannes registriert, der ein Scheinleben in ihrer Mitte führt. Dahmer, der glaubt und vorgibt, schwul zu sein, hat Gewaltphantasien und ist fixiert auf nackte Männeroberkörper.
Die hier dargestellte Geschichte konzentriert sich in überkreuzenden Handlungssträngen auf Dahmers ersten Mord im Jahr 1978 als Schüler an einem Anhalter und einem (fiktiven) Gespräch mit seinem letzten Besucher, dem jungen Rodney, mit dem er im Laufe einer Nacht ein Gespräch über sich selbst, seine Persönlichkeit, seine Abgründe und die Religion führt, wobei der junge Mann nicht registriert, in welcher Gefahr er schwebt…

David Jacobsons eklektische Version von Jeffrey Dahmers Leben ist besser als ihr Ruf, wenn sie auch Details verändert, um dem filmischen Konzept gerecht zu werden. Schon die Einführung ist eine Mixtur aus mehreren Gegebenheiten aus Dahmers Geschichte, ergibt aber eine soliden Aufhänger, um die Story zu erzählen. Leider wird dieses Niveau nicht über die Laufzeit von gut 100 Minuten gehalten.
Hauptdarsteller Jeremy Renner liefert eine glaubhafte, aber zuweilen auch etwas oberflächliche Performance ab, vor allem die Gewaltausbrüche sehen zu sehr nach „geiferndem Geistesgestörten“ aus. Es steht weiterhin die Frage im Raum, wen genau er denn darstellt, da vieles, was Dahmer ausmachte, im Film gar nicht angesprochen wird. Kannibalismus ist kein Thema, Nekrophilie wird nur angedeutet. Auch die Beweggründe für seine Taten bleiben fast vollständig im Dunkeln – wenn man mal von der Darstellung der merkwürdigen Beziehung zu seinem Vater und der ständigen Abwesenheit seiner Mutter absieht – und sein abstruses Weltbild, sowie die stark ausgeprägten soziopathischen Züge werden höchstens angedeutet.
Natürlich hätte man aufgrund der wirklichen Ereignisse eine wahre Schlachtplatte aus diesem Film machen können, Jacobson zieht es aber vor nur Dahmers ersten und seinen letzten Mord zu zeigen, dies auch nicht sonderlich graphisch und effektheischend: Man sieht z.B. Jeffrey im Alter von 18 Jahren wie er mit seinem Ekel und dem Würgereiz beim Zerlegen seines ersten Opfers kämpft.
Intensiver und ausführlicher werden wir über Dahmers Sexualität informiert, sein Verlangen nach wohlgeformten Männerkörpern und die Gier danach diese für alle Zeiten besitzen zu können. Trotzdem fehlt hier wieder eine Verbindung: Der Schritt vom Besitzenwollen hin zur Tötung der Begehrten kann von Jacobson nicht plausibel gemacht werden.
„Dahmer“ ist handwerklich tadellos umgesetzt, verliert aber durch die Unentschlossenheit des Regisseurs an Tiefe und Intensität. Ich frage mich, wie der Film wohl aufgenommen worden wäre, wenn er nicht plakativ mit den Taten Jeffrey Dahmers geworben hätte, sondern einfach nur den Zustand eines Serienmörders zeigte.

Trailer: http://www.youtube.com/watch?v=kf0bhz5CUC8

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