Re: Der letzte Film, den ich gesehen habe (Vol. II)

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nail75

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latho
Zuerst glaubt man nicht, dass Spielberg eine weitere Ford-Homage dreht: Young Mr. Lincoln von 1939 war ein Film gegen Riefenstahl und Eisenstein, ein Film für grass roots und Individualismus, der Beweis, dass die Freiheit die besseren Filme dreht.

:-)

Spielberg verfilmt eine Teil von Doris Kearns Goodwins „Team of Rivals“

Das gibt der Film zwar vor, stimmt meiner Ansicht nach aber nicht. Vielleicht mussten sie es aufgrund der Filmrechte so schreiben, aber das Thema 13th Amendment nimmt im Buch nur eine Handvoll Seiten ein.

und zeigt Lincoln zunächst als gewieften Politiker, der sich nicht zu fein ist, mit Flunkereien und Bestechungen seine Mehrheiten zu suchen.

Richtig und er zeigt den politischen Prozess als hässlich, teilweise als abstoßend. Die Demokraten mit ihren offen rassistischen Argumenten werden ebenso dargestellt, wie die Deals in Hinterzimmern. Mir hat sehr gefallen, dass das ein so politischer Film ist und dass er die Politik mit solcher Lust zeigt. Heute denkt man, was für großartige Politiker es damals gab, aber der Film zeigt auch den Abschaum, der genauso abscheulich war wie heute, wenn nicht noch viel schlimmer.

Aber wie Ford auch holt er Lincoln vom Podest, zeigt ihn als Menschen und Politiker und dass Größe eben nicht durch hohle Gesten, sondern durch große Ziele, harte Arbeit und Kompromisse entsteht (Eigentlich ein Film mit einer denkbar kleinen Zielgruppe: Barack Obama).

Obama ist ja ein großer Lincoln-Bewunderer, der ließ sich von Lincoln zur Zusammenstellung seines Kabinetts inspirieren. Kompromisse mit der Sklaverei ist Lincoln übrigens nie eingegangen. Er hasste sie abgrundtief.

Tatsächlich hätte man das auch als Theaterstück abfilmen können (tolles Drehbuch von Tony Kushner), aber Spielberg und Kaminski brechen dann immer wieder mit schweifender Kamera aus und erzeugen ein umfassendes Panorama.

Schön beschrieben. Es ist wirklich ein Kammerspiel.

Zum Schluss scheitert Spielberg wie so oft an sich selbst und hört nicht rechtzeitig auf, von daher verliert er auch diesen Vergleich mit Ford. Aber immer noch ein sehr guter Film, Spielberg is on a roll, Lewis weniger, dafür sind Field und vor allem Strathairn grandios (stunt casting: Adam Driver!).

Strathairn ist großartig als Seward! Fields auch als „troubled Mary Lincoln“. Was mir an Lewis gefallen hat, ist dass er Lincolns Auftreten, so wie er beschrieben wird, ziemlich gut eingefangen hat. Der Lincoln-Lewis ist ein witziger Mann, hat immer eine Geschichte zu erzählen und spricht in klarer einfacher Sprache. Das Verhältnis Güte/Traurigkeit, die Lincoln auszeichneten und Intensität, die Lewis auszeichnet, mag aber möglicherweise nicht ganz stimmen.

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Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.