Re: Der letzte Film, den ich gesehen habe (Vol. II)

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irrlicht
Nihil

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Spoiler:

Drive (Nicolas Winding Refn, 2011)

Nein, allzu originell ist der Plot eigentlich gar nicht: Das Drama zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein; dazu ein wenig Romanze, ein wenig Mafia, ein paar zersprengte Köpfe und ein Fahrer, dem niemand durch die Nacht folgt. Und doch ist Refns Werk brillant. Wo andere Regisseure zu großen Explosionen greifen würden, verlangsamt sich hier die Welt, verliert an Farbe; entfernt erklingt Musik, die eher wie ein Pulsschlag austariert ist. Um im nächsten Moment herauszuschnellen. Ein Auto verlässt die Straße, bricht durch die Leitplanke und stürzt ab; eine kurze Sequenz im Fahrstuhl vermengt Liebe mit völlig hemmungsloser Zerstörungswut. Ein Kopf zerplatzt am Spiegel im Bad. Aber letztlich wirkt das alles nicht überreizt: „Drive“ ist kein maniriertes Antieffektkino, sondern große Kunst. Sie ist da unerschrocken blutig, wo andere betulich bieder bleiben, da sinnlich, wo sonst der Schnörkel ist. Und Ryan Gosling als namenloser, fast wesenloser Driver ist absolut einzigartig. Viel Innenleben gibt es nicht – er arbeitet sorgsam in seiner Werkstatt und grinst zur Begrüßung etwas; er lacht um dann wieder in der Leere zu verschwinden; Wut zeigt sich in fast gleichgültiger Weise, Zuneigung gibt es, aber sie überbordet nie, wirkt aus der Zeit gefallen. Wenn die Uhr am Lenkrad montiert wird und die fünf Minuten abgezählt werden, den Zahnstocher im Mund versengt, hat das etwas getriebenes und gleichsam so völlig gleichgültiges. Prinzipien halten auf der Fahrbahn Leben, Pop Musik führt ihn durch die Nacht. Eigentlich ein zarter Film, der mich streckenweise etwas an „Léon“ erinnert. Während den Jagden ist man in der Gegenwart des Fahrers angekommen, am Bach leistet sich die Welt dann eine kurze Pause und drängt sich ins Polaroid Bild, verblasst etwas, wirkt nur wie kurz erinnert. Ein Erlebnis vom Entschwinden.

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Hold on Magnolia to that great highway moon