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Der Geschmack von Rost und Knochen/De rouille et d’os (Jacques Audiard; 2012)
Spoiler:
Doch, ein beeindruckender Film. Zunächst gibt sich der Streifen als geschickt inszeniertes Spiel mit allerlei Stereotypen. Marion Cotillard in der Rolle der Kühlkühnen, die einerseits mit Händen und Füßen den Applaus von Massen dirigiert und Wale dazu abrichtet, Fische aus ihren Zehen zu schnappen, die aber andererseits ihre fragile, durchscheinende Persönlichkeit in Clubs zerinnen lässt. Irgendwann liegt sie mit blutender Nase auf der Tanzfläche.
Dann der alleinerziehende Vater Ali, der mit dem Sohn auf der Schulter die Straße entlang spaziert. Was er anfasst, scheitert. Ein Großkotz, der sich lediglich im Boxen und sonstigen Gesten, Selbstrespekt verdient; er wohnt bei der Schwester, arbeitet als Türsteher in einem Club, die Frauen, die er aus purer Routine währenddessen aufreißt, bedeuten letztlich nichts. Und den Sohn, den er irgendwann aus dem Hundehaus zerrt und mit harten Worten und Wasserstrahler zwangserzieht, den gibt es auch nur in einer entfernten Vorstellung. Die zahlreichen Quickies haben ihn mittlerweile vergessen lassen, wann und ob sein Sohn je in der Schule gewesen ist. Und ja, natürlich ist er mit seinen rührseligen Augen, den dicken Muskeln und kratzigem Bart ein Abbild der -außen grob, innen cremig- Charakterzeichnung des liebenswerten Antihelden. Gabs schon alles.
De rouille et d’os vermischt aber dabei eine ganze Reihe von Szenarien. Es ist ein am Rande aufgegriffenes Drama über Vater-Kind Beziehungen. Über Beziehungen allgemein, denn Stéphanie verliert kurze Zeit nach der erwähnten Schlägerei ihre Unterschenkel bei einem Unfall und ist für lange Zeit an den Rollstuhl gezwungen. Und natürlich erinnert sie sich an Ali, der ihr einstmals seine Nummer aufschrieb. Das erinnert zunächst etwas an die Zeichnung von „Ziemlich beste Freunde“, ist aber dennoch anders. Der Film lebt mehr von den langsamen Bildern: Von einem Körper, der in bildstarkem Blau schwimmt, eine kleine Lage Blut streicht mehr und mehr durchs Wasser; von dem Blick nach unten, als Ali ins Meer hechtet; und den hellen Partituren, als er die Frau dann doch auf den Schultern trägt und die Badegäste erschüttert gaffen. Und auch in den rigorosen Momenten ist der Film charismatisch direkt: Als sie im dunklen Salon ihre Einsamkeit ausspricht, dauert es nicht lange, bis Ali in der Küche hantiert und schlussfolgert: „Möchtest Du ficken?“. Sie hatte in Frage gestellt, ob das alles nach dem Unfall noch funktionieren würde. „Ist ja nichts dabei“. Der Film lebt stark von seinen Bildern und die sind vielfach ganz fantastisch; und eben seinen mal (bewusst?) stümpferhaften, mal flapsigen Dialogen. Und natürlich von Cotillard selbst.
Dass es am Ende noch eine ganz unerwartete Wendung gibt, sei vorweggenommen. Kleinere Kritikpunkte am Rande: Manches Mal zu durchschaubar, zu durchkonzipiert. Und ein wenig mehr Fokus und Straffung innerhalb der Storyline hätte der Sache manchmal auch gut getan.
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Hold on Magnolia to that great highway moon