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The Fall
(Regie: Tarsem Singh – Großbritannien/Indien, 2006)
Roy Walker (Lee Pace) liegt im Krankenhaus und ist in zweierlei Hinsicht ein gebrochener Mann: zum einen hat sich der Stuntman bei einer Filmszene so schwer verletzt, dass er nun nicht mehr laufen kann, zum anderen ist seine Freundin mit dem Star des Films durchgebrannt. Dazu bereit, sein Leben zu beenden, freundet er sich mit der 5-jährigen Mitpatientin Alexandria an, um diese dazu zu bringen, ihm eine tödliche Dosis Morphium zu besorgen. Er beginnt, ihr eine phantastische Geschichte zu erzählen, in der er geschickt sich selbst, Alexandrias Lieblingskrankenschwester, andere Patienten, seinen Nebenbuhler und natürlich Alexandria selbst einbringt. Doch bald erkennt das kleine Mädchen, dass hier nicht nur das Schicksal der erdachten Figuren am seidenen Faden hängt…
Bekannt wurde Tarsem Singh vor allem durch seine Musik- und Werbevideos wie z.B. „Losing My Religion“ von R.E.M.; in seinem zweiten Film für die große Leinwand nach „The Cell“ beschäftigt er sich mit den Traditionen des Geschichtenerzählens, inspiriert durch den bulgarischen Film „Yo Ho Ho“ aus dem Jahre 1981.
Schon zu Beginn zeigt Singh wie brüchig die Stringenz einer mündlichen Überlieferung ist und dass sie immer wieder durch Erzähler, Zuhörer und Weitererzähler manipuliert wird. Man kann sich niemals sicher sein die Wahrheit zu hören, sondern erhält stets eine gefärbte Variante.
Singh bedient sich wahllos bei antiken Sagen, Mythen, Märchen und anderen Geschichten, er nutzt den archetypischen Kampf Gut gegen Böse und verpasst all dem einen Hollywoodanstrich; seine Geschichten erfährt man nur durch den Mund (und damit die Kolorierung) eines Kenners der Klassiker der kalifornischen Traumfabrik.
Aber auch der beste Geschichtenerzähler bleibt ein einsamer Rufer in der Wüste, wenn er keine Zuhörer hat, die seinen Worten folgen, keine Gefäße, die sich mit den Geschichten befüllen lassen. Nicht umsonst heißt die kleine Hauptdarstellerin Alexandria, ein Verweis auf die berühmte antike Bibliothek, in der sich das gesammelte Wissen der damaligen Zeit befand.
„The Fall“ wurde an Originalschauplätzen in über 20 Ländern gedreht, auf den Einsatz von CGI hat man dabei laut mehreren Quellen verzichtet, dieser Aufwand entspricht voll und ganz dem optisch überwältigenden, bombastischen Leinwandereignis dessen Zeuge man hier in knapp zwei Stunden wird. Die surrealistischen Momente bedienen sich im reichen Fundus des Geschichtenerzählens (immer geprägt durch Hollywood), anstatt in Träumen und dem Unterbewusstsein zu wühlen. An einer Stelle zitiert Singh deutlich Szenen aus „Fando Y Lis“ und „The Holy Mountain“ von Alejandro Jodorowsky.
Wenn man all dies bedenkt, erwartet man eigentlich einen tiefsinnigen Film, „The Fall“ bleibt aber zu jeder Zeit ein Märchen, eine melodramatische Fantasygeschichte und bedient vor allem die Oberfläche. Es ist eine makellose, faszinierende Oberfläche, ganz im Sinne des Unterhaltungsfilms, sie birgt durch die atemberaubenden Panoramen und Landschaften aber eine Projektionsfläche für die Gedanken des Zuschauers, die die vermeintliche Leere auffüllen können.
Trailer: http://www.youtube.com/watch?v=iO0LYcCoeJY
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