Re: Der letzte Film, den ich gesehen habe (Vol. II)

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irrlicht
Nihil

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Lars von Trier Antichrist (2009)

Als ich erstmals „Dancer in the dark“ sah, war ich über Tage hinweg in einem seltsamen Schwebezustand, ich liebe diesen Film auch heute noch sehr – weil er eine seltsame Ausstrahlung innehat, Björk als Hauptprotagonistin wirkt wie eine Schwertlilie, die in einen Kübel voll Bitumen zum Wachsen eingelegt wurde. Etwas daran ist seltsam naiv und kindlich und gleichermaßen tragisch, verstörend. Auf „Antichrist“ hatte ich mich daher sehr gefreut; jetzt bin ich ratlos. Definitiv ein Film, bei dem mich von Triers ursprüngliche Intention durchaus interessieren würde – denn zuweilen erscheint es, als verliere sich der Faden im grauen Satanswald. Ein Film, der auf sehr vielen Ebenen wirkt (und das wohl auch will), alles daran ist mehr Kontur, voller Andeutungen, aber die Bilder fügen sich auf lange Sicht nicht wirklich zusammen. Ein verstörendes Werk sieht man hier, bei dem von Trier die Grenzen der menschlichen Psyche bis zum Wahn ausreizt, oftmals auch in den ganz ruhigen Momenten (ich finde aber auch gerade die ersten drei, vier Minuten des Films sehr beeindruckend), aber es soll hier um mehr gehen, als um die therapeutische Aufarbeitung von Verlust. Zumindest ist das bereits mit dem Titel „Antichrist“ die klare Ansage. Aber was?

Der Film beginnt klar – auf Liebe folgt Tod, Nähe birgt Unachtsamkeit; auch die klaren Gegensätze: Sie ist hysterisch und gleichermaßen nahezu apathisch, überdauert ihren Schmerz in einer entfernten, fast noch schmerzhafteren Welt, während er, als mal abgeklärter, mal kühler Ehemann die Situation dadurch zu retten versucht, etwas von Rationalität in die Situation zu bringen. Dafoe und Gainsbourg sind in ihren Rollen fantastisch, finde ich – aber dennoch wirken sie fehlgelenkt. Denn „aufarbeitend“, gar befreiend wirkt daran nichts. Der Film lähmt, betäubt und ist als formale Darstellung eines introspektiven Risses sicher beeindruckend, aber das eigentlich Beeindruckende liegt hier oftmals in seiner absoluten Leblosigkeit. Es werden weitere Themen aufgegriffen, etwa die drei Bettler, die im letzten Kapitel quasi als Todesrichter am Himmel erscheinen, die Totgeburt, die er bei einem Reh im Wald sieht, den sich selbst verschlingenen Fuchs (oder die Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißt) – und natürlich die Thematik des Glaubens, des Übernatürlichen, der Sünde.

Aber etwas daran zieht nicht – aus echtem Leid wird hysterischer Wahn, aus Verzweiflung zuteilen fast plumper Splatter, aus den Sex-Szenen, die wohl die Zeit bis zum Tod, quasi als ewiges Wiedererinnern, zurückdrehen sollen, letztlich doch ermüdender Selbstzweck. Und das ist das Hauptproblem: Es ist mehr eine Darstellung purer Grausamkeit in einer kalten Welt, keine schmerzhafte, aber letztlich Hoffnung spendende Tragödie. Was ist die Aussage hinter „Antichrist“? Vielleicht fällt es mir einmal wie Schuppen von den Augen und das Kartenhaus stellt sich von selbst auf, aber wenn mir da jemand auf die Sprünge helfen will, freuts mich auch (ich habe auch den Sinn der letzten Szene, der unzähligen gesichtslosen Frauen, im Kontext nicht wirklich verstanden). Ideen, anyone?

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Hold on Magnolia to that great highway moon