Re: Observers Favoriten

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observer

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Echo & The Bunnymen – Ocean Rain
(Korova – 1984)

„Whatever burns burns eternally“ (Nocturnal me).
In einer Folge von „Six feet under“ steht die Familie Fisher nachts in ihrem Garten um ein Feuer, in dem jeder seine alten Sachen verbrennt, die er tagsüber auf dem Flohmarkt nicht losgeworden ist. Jeder trennt sich von etwas Vergangenem, sucht sich ein Stück Befreiung von der Last der Erinnerung. Alle starren schweigend in die lodernden Flammen, innerlich bebend. Was in jedem einzelnen vorgeht, ist nur erahnbar. Die leise Dramatik dieser Szene fasst für mich die Grundstimmung dieser Platte zusammen und findet seine Entsprechung bereits im Coverfoto. Die vier Bandmitglieder auf einem kleinen Boot, im inneren einer Höhle, die in ein kaltes Yves Klein-Blau getaucht ist. Alle starren in Gedanken versunken vor sich hin. Ein Bild, dass sowohl den Symbolismus der Texte aufgreift, als auch den Zustand der Band visualisiert.

„Ocean Rain“ ist das vierte Album von Echo & The Bunnymen und kann mit Fug und Recht als ihr kreativer Höhepunkt bezeichnet werden, der gleichzeitig eine Phase der kontinuierlichen Weiterentwicklung abschließt. Während das Debüt „Crocodiles“ noch den ungestümen Charme der Post-Punk-Ära versprüht, „Heaven up here“ den dramatischen Aspekt ihrer Musik ausbaut und „Porcupine“ versucht, den Bandsound etwas aufzubrechen, haben alle drei Alben die schrammelnde Gitarrendominanz und das zeitgemäße Verwenden von funkigen Rhythmus-Elementen gemeinsam. Auf „Ocean Rain“ gehen die Bunnymen Experimente ein, bündeln ihre Stärken und zeigen mit jedem einzelnen Song, welche Facetten sie ihrer Musik entlocken können. Diese Neuorientierung ist symptomatisch für das Jahr 1984: U2 lassen sich von Brian Eno auf „The Unforgettable fire“ in neue Sphären heben, die Simple Minds suchen mit „Sparkle in the rain“ ihr Heil in der Hinwendung zu mehr Pop und eröffnen damit ihre Stadionband-Karriere. All diese, in ihren frühen Ansätzen vergleichbaren Bands versuchen mit ihrer Vergangenheit abzuschließen und sich für eine Neupositionierung freizumachen, wobei den Bunnymen der Spagat zwischen Vergangenheit und Neubeginn am überzeugendsten gelingt.

Aufgenommen wurde „Ocean Rain“ mit Ausnahme von zwei Tracks in einem Pariser Studio unter Einbeziehung eines Orchesters, das dem Sound der Band eine vollkommen neue Dimension gibt und sowohl die dramatischen, als auch die romantischen Elemente hervorhebt. Die Streicher werden nicht als Blendwerk eingesetzt, legen keinen sanften Teppich unter die Songs, sondern gehen eine sehr eigenständige Symbiose mit den typischen Bunnymen-Soundmustern ein. Das Album klingt homogen, überrascht mit einer enormen Bandbreite an stilistischen Mitteln und enthält die großartigsten Stücke, die die Band je zu Stande gebracht hat. „The Killing Moon“ ist ein perfekter Popsong, der auch nach über 20 Jahren nichts von seiner Schönheit eingebüßt hat. Mit „Thorn of Crowns“ haben sie ein Monster an Dynamik, ein Spiel mit Auslassungen, psychedelischen Einlagen (Doors!) und Extase erschaffen, in dem Will Sergeant auch noch mal wie in früheren Tagen auf seiner Gitarre schrammeln kann. Ian McCulloch verzichtet auf viele Manierismen, die auf den Vorgängeralben noch zu hören waren. Er verläßt sich auf seine markante Stimme und verleiht den Aufnahmen dadurch mehr Persönlichkeit und Nähe.

Leider hat die Band nie wieder dieses Qualitätsniveau erreicht. Ein Split nach „Ocean Rain“ wäre für die Legendenbildung sicherlich förderlich gewesen. So aber kam 1987 noch ein mediokres, selbstbetiteltes Album, bevor McCulloch ausstieg, um solo weiterzuarbeiten und sich mit dem Rest der Band gerichtlich zu streiten. Tragischerweise verstarb der Drummer Pete de Freitas 1989 nach einem Unfall und die Band schien endgültig Geschichte zu sein. Die Reunion 1997 eröffnete dann ein neues Kapitel, zu dem ich aber nie diesen tiefen Bezug aufbauen konnte.

„Ocean Rain“ begleitet mich nun seit fast 20 Jahren, anfangs auf meinem alten Tonband, dann als LP und später auch als CD. Jedesmal entdecke ich es neu, werde ich wieder in diese Atmosphäre hineingezogen und bemerke, wie geschmacksbildend diese Platte für mich war und immer noch ist. Sie brennt noch.

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Wake up! It`s t-shirt weather.