Re: David Gilmour – Live in Hamburg

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pink-nice

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Konzertkritik aus der Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 20.3.:

Die undefinierbare Keuschheit alter Lieder
David Gilmour triumphiert zum Abschluß seiner Deutschland-Tournee in der Alten Oper Frankfurt

Im einsamen Strahlenkranz singt die Gitarre. Melodieselig winden sich Linien leichthändig in lichte Höhen. David Gilmour gibt schon mit der einleitenden Solonummer „Castellorizon“ das Motto des Abends vor: Sehnsucht und Einklang. Als Gitarrist und Stimme der großen Welt-Verträumer „Pink Floyd“ sucht er die Ruhe in reiner Sphärenharmonie. Anlaß seiner schon seit Monaten ausverkauften Tour ist ein neues Album. Anstatt die hochfliegenden Erwartungen einer „Pink Floyd“-Reunion nach ihrer dreißigminütigen Wiedervereinigung auf dem Live-Aid-Spektakel im Juli letzten Jahres zu erfüllen, hat er jetzt mit „On An Island“ nach zweiundzwanzig Jahren sein drittes Solo-Album vorgelegt.

Wie das sanfte Plätschern von Meereswellen umspielen die neuen Songs die imaginäre Insel – Fluchtpunkt der alltagsmüden Seele. Obwohl von illustren Gästen wie Graham Nash, David Crosby oder Robert Wyatt unterstützt, erschöpft sich das Album in sanfter Elegie. Erst im Konzert kann Gilmour beweisen, daß er bei allem Weltschmerz im Grunde seines Herzens ein Rock-’n‘-Roller geblieben ist. Sein Auftritt in der Alten Oper Frankfurt ließ zum Abschluß der Deutschland-Tournee noch einmal die Qualitäten des inzwischen Sechzigjährigen aufleben. Denn allen Unkenrufen zum Trotz ist Gilmour einer der großen Stilisten der Rockgitarre. Im Zwiegespräch mit dem zweiten Gitarristen Phil Manzanera demonstriert Gilmour seine lässige Ökonomie. Zwar klingt jede seiner melancholischen Gitarrenphrasen wie ein sorgfältig poliertes Kleinod, doch gänzlich anstrengungslos, fast beiläufig reihen sich die singbaren Licks zu einer leuchtenden Spur. Ob in neuen Titeln wie dem schläfrig-entspannten „The Blue“ oder in einem „Pink Floyd“-Klassiker wie „Comfortably Numb“ – immer ist die Architektur seines Saitenspiels von strengem Minimalismus geprägt. Gilmour war nie ein Schnellspieler, er kostet das Gewicht einzelner Noten lieber aus und verleiht ihnen durch Dehnungen und sprachähnliches Vibrato dramatische Qualitäten.

Wer sich im ersten Teil des Frankfurter Konzerts noch in einen lauen Sommerabend am Meer versetzt sah, erlebte nach der Pause die ersehnte Himmelfahrt. Schon zu Beginn hatte Gilmour das auffallend junge Publikum beruhigt: „In der zweiten Hälfte gibt es ein paar vertrautere Dinge.“ Gemeint waren jene Klassiker, die den Bogen vom Syd-Barrett-Song „Dominoes“ des Jahres 1970 bis zum letzten „Pink Floyd“-Album „The Division Bell“ von 1994 spannten. Erst kürzlich hatte Gilmours Weggefährte und Rivale Roger Waters von der „undefinierbaren Keuschheit der alten Lieder“ gemunkelt. Was er damit meinte, versinnbildlichte vielleicht am besten Gilmours „Shine On You Crazy Diamond“. Als Hommage an den seit 1968 von schizophrenen Schüben heimgesuchten Syd Barrett geschrieben, gerät es heute zum Manifest menschlicher Tragik. Schon in der Einleitung des Stücks verzichtet Gilmour auf die grundierenden Keyboard-Flächen des Mitspielers Rick Wright und übernimmt statt dessen auf seiner Gitarre mit Hilfe einer Delay-Schaltung gleichzeitig Akkord- und Solo-Funktionen. Fast kammermusikalisch intim kommt das neue Arrangement daher und berührt in seiner schlichten Strenge die Zuhörer. Erst mit dem Einsatz von Bariton- und Tenorsaxophon in den Händen des alten Haudegens Dick Parry löst sich die Spannung. Gilmour und Parry improvisieren völlig losgelöst, lassen Jubel und Klage ununterscheidbar werden.

Wie kunstvoll Gilmour inzwischen sein Slide-Spiel kultiviert hat, beweisen nicht nur seine melodischen Schwebungen auf der Akustik-Gitarre. Immer wieder setzt er mit gleitend-glühender Melodik auf der Steel-Gitarre den Stücken Glanzlichter auf. Die alte Kiffer-Hymne „Echoes“ vom „Meddle“-Album des Jahres 1971 und Höhepunkt des Konzertfilms „Live in Pompeii“ offenbart in ihrer komprimierten Konzertversion den ganzen hypnotischen Charme der „Pink Floyd“-Philosophie: Eine Fülle eingängiger Riffs kulminiert in einem donnernden Crescendo und beruhigt sich in pulsierenden Geräuschflächen. Natürlich durften auch Gassenhauer vom Schlage „Time“ oder „Wish You Were Here“ im Konzert von „Space David“ nicht fehlen. Sein hochmotiviertes Sextett interpretierte sie mit Hingabe und Leidenschaft. Gilmour, in sich ruhend und von statuarischer Präsenz, kann dabei den alten Krachern neue Untertöne entlocken. Mögen „Pink Floyd“ und ihre Protagonisten im Auf und Ab der Popgeschichte auch immer wieder als plakative Perfektionisten und langweilige Erlöser geschmäht werden, ihre Musik bleibt balsamisch betörend. Und bei jüngeren Rockfans sind sie längst Kult. PETER KEMPER

Text: F.A.Z., 20.03.2006, Nr. 67 / Seite 38

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Wenn ich meinen Hund beleidigen will nenne ich ihn Mensch. (AS) „Weißt du, was ich manchmal denke? Es müsste immer Musik da sein. Bei allem was du machst. Und wenn's so richtig Scheiße ist, dann ist wenigstens noch die Musik da. Und an der Stelle, wo es am allerschönsten ist, da müsste die Platte springen und du hörst immer nur diesen einen Moment.“