Re: Song des Tages Vol. II

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go1
Gang of One

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Irrlicht@Go1: Schön, wie das mir Dir und Dota weitergeht, da scheint sich was anzubahnen, wie es aussieht. Ich mag Deine Texte dazu sehr und kann Deine Gedanken übrigens vollkommen teilen – daher hatte ich wohl Dein Posting von vor einigen Tagen auch nicht mehr beantwortet, unbewusst zumindest -, es gibt nur eine Sache, die mir Dota Kehr und ihre Piraten dann doch etwas auf Distanz hielt: Ich finde die Musik der Prinzessin hie und da fast etwas zu klug. Nicht voller altkluger Flausen, im eitlen und sich selbst gern zuhörenden Sinne, aber relativ abstrakt, sprunghaft, quirrlig und so ein wenig wie das Video zu „Ein Tag“ – aus jedem Satz entspringt ein neuer, jede Metapher ist der Grund, auf dem Paläste und Kunstwerke gebaut werden – kurz: Ich mag das, aber mir fällt es schwer, lange dabei zu bleiben und eigentlich ist Textarbeit nun wirklich kein Gebiet, das mich abschreckt. Ich lasse mir sowas gerne gefallen (ähnlich bei Blixa Bargeld, von Lowtzow etc.), aber mir fällts schwer, das ganz auf die persönliche Ebene rüberzuretten. Die unmittelbaren Emotionen finde ich spärlich, wahrscheinlich mag ich deswegen „Zuhause“ noch am liebsten – das ist zwar auch versponnen, zwielicht und ein wenig der Welt entrissen, aber sehr fühlbar (es spielt aber natürlich auch rein, dass meine Partnerin das alle paar Tage draußen auf dem Balkon singt und sich dabei auch mit Gitarre begleitet, sowas gräbt auch kleine Löcher in die Empfindlichkeit).

Wie siehst Du das?

Schwer zu sagen, da ich längst nicht alles kenne. Aber fürs erste sehe ich das anders. „Zu klug“ kann Musik gar nicht sein; das geht nicht. Mir fällt das Spielerische auf. Dota Kehr hat hörbar Freude daran, mit Einfällen zu jonglieren, mit Sprache zu spielen, ein Garn zu spinnen. Das ist gut und nicht schlecht. Sie hat Schnurren und Humoresken im Programm, Unterhaltsames, „cute stuff“, aber auch Versonnenes und Nachdenkliches, klug gedachtes und frei fabuliertes, Anrührendes und Erheiterndes.

„Unmittelbare Emotionen“ gibt es nicht in der Kunst, da alles durch die künstlerische Gestaltung vermittelt ist. Ein Künstler kann etwas mehr oder weniger überzeugend darstellen oder fühlbar machen, aber das hat immer mit Technik und Geschick zu tun. Aber gut, ich kann mir vorstellen, was Du meinst. Wenn ich Dich recht verstehe, kommt es Dir auf die direkte Darstellung eines Gefühls oder Seelenzustands an. Du hast ja neben „Zuhause“ noch „Selten, aber manchmal“ als Favoriten genannt:

Dota Kehr – Selten, aber manchmal (Live 2011)

Das klingt „echt“, „authentisch“, nach „unmittelbarem Ausdruck“ einer Trauer um die verflossene Liebe, und ist dabei sorgsam gearbeitet, mit feinen Bildern und einer Pointe mittendrin. Ich schätze das schon, aber würde mir Dota Kehrs Musik „näher“ sein, wenn sie öfter solche Lieder machen würde? Ich glaube nicht. Ich sehe keinen Grund, diese spezielle künstlerische Strategie gegenüber anderen zu bevorzugen (ein ganzes Album mit solchen Liedern würde ich gar nicht hören wollen, denn sie lassen in ihrer Direktheit wenig Raum für die Phantasie des Hörers, der einfach zur Identifikation eingeladen wird).

Musik kann mich auf viele verschiedene Weisen ansprechen, nicht nur mit „unmittelbar“ scheinenden Gefühlen. Das erste, was ich von Dota Kehr gehört habe, war „Utopie“, und dieses Lied hat mich sofort berührt: „Denn die Welt ist was Gemachtes: Bis da und dahin mit Notwendigkeit, und der Rest, der Rest ist Utopie“. Das war ein Gedanke und kein Gefühl,aber das funktioniert bei mir auch; und ich genieße den Rhythmus und den Einfallsreichtum des Stücks. Oder nimm ein Lied wie „Containerhafen“: das erfüllt mich einfach mit Heiterkeit. Ich halte es für eine brilliante Idee, den internationalen Güterverkehr zu besingen, und schwinge mich ein auf den Humor dieses Songs. Das geht mir auch nahe, nur eben auf andere Art als die Liebes- und Liebeskummerlieder.

IrrlichtP.S. Und auch wenn die Ähnlichkeiten nicht ganz so nachvollziehbar sind (in meinem Kopf vermischt sich des öfteren was): Was hältst Du denn eigentlich vom Debut von Wir sind Helden bzw. den Lyrics von Judith Holofernes?

Was Die Reklamation angeht, ist mein Beitrag von 2005 noch aktuell. Kurzfassung: einige gute Songs, aber eher nicht so gute Aufnahmen, nicht optimal umgesetzt. Die lyrics fand ich gut seinerzeit, aber ich kann mich heute kaum noch an welche erinnern. Ich besitze ja nur die „Denkmal“-Single. (Im Gespräch mit dem Journalisten Thomas Winkler anno 2010 hat Dota Kehr erklärt, dass sie „Judiths Texte schon sehr gut findet“, sich aber gegen den Vergleich mit den Helden verwahrt.)

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To Hell with Poverty