Re: Song des Tages Vol. II

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patriktroll

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Smog – Spread your bloody wings

http://www.youtube.com/watch?v=b8156uxBESk

Die Depression Bill Callahans auf „The doctor came at dawn“ war keine gewöhnliche, die sich mit einer Schachtel Paroxetin, Ablenkung und positivem Denken überwinden ließ. Sie hatte etwas Schauerliches, Unlösbares, war ein Schlick pechschwarzer Fäden, der eine vom Betroffenen nur vermutete Seele zusammenschnürte. Der Endzwanziger musizierte und textete intensiv, sein Verhältnis zu Meisterwerken war ein intensives. Heute ist der ernüchterte Mann irgendwo angekommen, wo er mehr oder weniger sorgenlos das immergleiche Lied in Varianten spielen kann, sein großes Talent ist aufgebraucht (aber es hat viel abgeworfen!) – auf „Doctor“ brannte es lichterloh und Callahan, der sich damals noch wohlüberlegt Smog nannte, ließ sich nicht in die Karten schauen. Ihm war nicht zu helfen, und auch deshalb gelang ihm Einzigartiges.

„Spread your bloody wings“ ist das verstörendste Stück Musik, das Bill Callahan je aufnahm. War er je in Psychoanalyse? Der Text ist reiner Expressionismus der vorletzten Jahrhundertwende, die Bilder sind in ihrer vollkommenen Stimmigkeit gewaltig: „The water demon’s eyes are pink and green (…) The most beautiful thing you’ve ever seen spits bile into your eye“.
Der Verfasser des Gedichtes spricht mit sich selbst, die Ausflucht in die Riesenmetapher ist seine letzte Ausflucht, ist notwendig. „Helmets, oars and swords are washed upon the shore.“ Vier repetitive, krumme Töne, Herumirren einer Harfe, Sirren – eine Welt, die sich auftut, Fremdes absondert und wieder zurückzieht ins Dunkel.

Georg Trakl würde staunen.

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I will hold the tea bag.