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Carrot Flower(Rossi tutet ja da in irgendein Horn, ich habs aber nicht so recht mitbekommen)
Ich wollte ja eigentlich nichts mehr dazu sagen, weil ich nicht zu denen gehören möchte, die bei Nennung eines Namens reflexhaft „Harfentuse“ posten müssen. Ich fühlte gerade erst wieder einen Dolchstoß mitten ins Herz, als ich sah, dass sogar Popjustice – Popjustice! – „Someone Like You“ nicht nur in den Jahrescharts führt, sondern sich dabei auch noch an ABBAs „Angeleyes“ – ABBAs „Angeleyes“!! – erinnert fühlt, und dann kommst auch noch Du, Iunia – es sind wohl die Iden des Dezembers …
Vor drei Jahren hatte ich für „Chasing Pavements“ und „Hometown Glory“ noch ein gewisses Interesse. Dass etwas gründlich schiefläuft, war aber spätestens klar, als „21“ auf Platz 1 der erzkonservativen RS-Lesercharts stand, dort, wo man sonst abwechselnd die Namen Wilco, Neil Young und Tom Waits liest. Warum? Weil Adele wohlmeinend-väterliche Reflexe auslöst: So jung und so talentiert, die kann ja richtig was – richtig singen, richtig Songs schreiben, die muss nicht durch Äußerlichkeiten von fehlender künstlerische Tiefe ablenken und hat auch keine schrecklichen Castings nötig. Es gibt sie noch, die guten Dinge! Das mit dem Kniff in die Pausbacke hast Du schon ganz treffend formuliert.Und mit jedem Jubelartikel, in dem niemals der Begriff „Anti-Gaga“ fehlen durfte und jeder Bestenlisten, die nun am Jahresende hereinrollt und wieder den Namen Adele mit sich spült, wird umso klarer, dass Adele der personifizierte Gutgeschmacks- und Authentizitätsterror ist.
Ja, sie macht eigentlich gar nichts falsch, und dass auf eine enervierend konsequente Art, denn sie macht ja nur, was sie macht, ehrlich und aufrichtig. Selbst äußerlich bietet sie keine Angriffspunkte, nicht einmal einen „lips incident“. Nein, ihre Maße sind, pardon: ihr größtes Pfund, authentifizieren sie doch ihre künstlerische Integrität. Auf ein paar Fotos trägt sie eine Fluppe im Mundwinkel, ist also auch ein toughes Mädchen, das sich nichts sagen läßt und auf keine PR-Berater hört. Ihre Musik ist selbstverständlich gefällig, wogegen ich gar nichts sagen würde, aber auf eine ganz abgefeimte Art, dass auch Leute, die immer auf „Ecken und Kanten“ pochen, auf sie hereinfallen, weil das, was als „Ecken und Kanten“ wahrgenommen wird, eben paßgenau eingebaut ist.
Und ich habe im Zusammenhang mit Adele auch nie den Satz gelesen, der relevanten aktuellen Pop immer begleitet, an dem man relevanten aktuellen Pop sofort erkennt: Dass sich daran in x Jahren keiner mehr erinnern wird, ein kurzfristiger Medienhype, kalkulierter Mainstream usw. Und es stimmt ja auch: Dieses proppere Talent wird uns noch lange erhalten bleiben. Rick Rubin hat sie ja bereits abgehakt, „23“ produziert dann Jack White, und das wird mal so ein richtig dreckiges Bluesalbum. Und wenn dann „45“ erscheint, wird man sie auf dem Cover des deutschen RS sehen, in der klassischen „auf dem Cover des deutschen RS“-Pose, also als Denkmal ihrer selbst, in schwarzweiß, mit verschränkten Armen, Falten im Gesicht und einem seltsamen Hut auf dem Kopf, und sie wird so gut sein wie nie zuvor – nämlich zeitlos gut!
Ach, ich liebe es, sie zu hassen … :)
neulich auf der Fahrt durch Borgholzhausen ganz gut erwischt (was an der Reizlosigkeit Borgholzhausens liegen mag)
Das sind tatsächlich mildernde Umstände.
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