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Mikko
Ich gehe da im Prinzip mit Otis konform. Was mich nichts kostet, ist auch nichts wert. Und zum Musikgenuss gehört mehr als nur der Klang.
Entschiedener Einspruch! Ein Beispiel: Ich bin großer Travis-Fan und hab auch alle Singles in jeweils zwei Versionen (CD), soweit ich ihrer habhaft werden konnte (das fehlende hab ich inzwischen „gebrannt“ erhalten und auch diese CD ist mir durchaus viel wert). In der Zeit war ich über Bezugsmöglichkeiten nur schlecht informiert, heute wäre das dank Forum anders. Aber es gab etwas, was ich noch nie gehört hatte, die legendäre Urfassung von „All I Wanna Do Is Rock“, die nur auf limitierter Vinyl-Single erschienen ist. Keine Ahnung, ob die überhaupt ohne weiteres greifbar ist, sie ist sicher teuer. Und ich hab auch keinen Plattenspieler. Irgendwann fasste ich mir ein Herz und fragte einen der Forumianer von der Berliner Vinyl-Fraktion (ich nenne keine Namen), ob er mir sein Exemplar digitaliseren könne. Ich machte mich schon auf wüste Beschimpfungen gefasst ;-). Aber ganz im Gegenteil, noch am selben Abend konnte ich mir erstmals dieses triumphale Debüt anhören. Was diese MP3 für einen Wert hat? Für mich persönlich einen sehr großen. Und auch manch anderes digitale Juwel, das für mich auf herkömmlichen Wege nicht erreichbar war, hab ich bereits durch Forumianer erhalten.
Wie jeder Wert ist auch der Wert digitaler Informationen, Klänge, Bilder etwas, das durch individuelle Einstellung und gesellschaftliche Übereinkunft definiert wird. Wir stehen da noch am Anfang einer Entwicklung. Für mich ist der Wert schon jetzt enorm hoch: Meine Forschungsarbeit und Archivrecherchen der letzten 10 Jahre gibt es größtenteils nur in digitaler Form. Selbstverständlich kümmere ich mich ständig um die Sicherung meiner Daten. Ich liebe natürlich auch alle Publikationen dieser Zeit, jeder Aufsatz, jedes Buch ist mir wichtig. So ein Buch muss auch gut gestaltet sein, inhaltlich wie optisch, das ist auch eine sinnliche Komponente ähnlich den Vinyls und ihren Sleeves. Aber die Publikationen entstehen von A bis Z an Rechnern. Ich habe auch noch nie bedauert, dass keines meiner Werke in bleiernern Lettern auf Papier gedruckt wird, dass in der wasserradgetriebenen Papiermühle aus Lumpen hergestellt wurde.
Digitale Informationen gibt es tatsächlich in unfassbaren Dimensionen, es ist einfach, sich die Festplatte mit Texten, Musik und Bildern vollzumülllen. Aber so ist es doch auch beim bedruckten Papier: 99% wandert in die Tonne. Man könnte sagen, dass bedrucktes Papier eigentlich keinen Wert hat. Mal ganz abgesehen vom Werbematerial, Prospekten usw.: Was ist der Wert einer Tageszeitung am Tag nach dem Erscheinen? All das gefährdet aber doch nicht den Wert jener vergleichsweise wenigen Druckwerke, die einem wirklich wichtig sind, ob aus inhaltlichen, bibliophilen oder persönlichen Gründen.
Was ich sagen will: Die Wertschätzung digitaler Information ist etwas, das wir noch lernen müssen, vor allem die Unterscheidung zwischen Spreu und Weizen. In Bezug auf Musik ist ein weiterer Schritt der Abstrahierung vom Ursprung, der Aufführung durch die Musiker. Aber auch das Konservieren und Verpacken von Musik war schon ein solcher Abstraktionsvorgang.
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