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Schöner Text, Mikko.
Mikko[…]
Es stellt sich aber doch die Frage, muss man Robert Johnson von einer originalen Schellack gehört haben, um die Bedeutung – den Wert – seiner Musik begreifen zu können? Können dann also nur die wenigen glücklichen Besitzer einer Robert Johnson Originalpressung ermessen, was der Mann für die Nachwelt bedeutet? Gerade im diesem konkreten Fall wird die Sache besonders diffizil. Wie hätte Johnson geklungen, wäre er nur rund 20 Jahre später mit verbessertem Equipment aufgenommen worden? Andererseits sind die Aufnahmen des Mannes ja gerade so wie sie sind legendär und einflussreich geworden. So what? – Trotzdem muss die Frage erlaubt sein, ob man diese Aufnahmen nicht auch von Vinyl, Tonband oder CD (ja auch CD) hören darf, um sich ein Bild machen zu können. So lange die Aufnahmen so klingen wie die ursprüngliche Schellackplatte, kann daran nichts falsch sein. Der Wert der ursprünglichen Schellack Ausgabe bemisst sich allerdings aus zweierlei. Der Bedeutung und Wertschätzung die der Musik, der Aufnahme an sich, von Musikliebhabern und Fachleuten zugestanden wird, und der Seltenheit der originalen Pressung natürlich. Das zusammen ergibt den Sammlerwert.
Ich denke, dass ist ähnlich wie mit Kunstwerken: solange ich vom Geld-Wert spreche, kann ein Kunstwerk nur so viel wert sein, wie die höchste Summe, die dafür geboten wird. Und das ist dann der Sammlerwert. Wieso das Geld geboten wird, ist dann doch egal – das muss ja nicht direkt mit der Musik zusammenhängen, das kann ja auch Geldanlage sein.
Man sollte die Musik in diesem Moment trennen von dem „Datenträger“ (in jeder Form) – und dann ist Johnsons Musik eben unzureichend aufgezeichnet.
Mikko[…]
Es soll ja bereits Leute geben, die sammeln Musik als Datenpakete, als Soundfiles. Das ist sicher sehr praktisch. Und sofern man seine Festplatte in zwei Kopien an verschiedenen Orten aufbewahrt, ist man auch vor Verlusten einigermaßen sicher, aber ansonsten ist das doch ziemlich arm, oder nicht? Mal abgesehen von der Diskussion um Nullen und Einsen, um Treppenstufen und all dieses Zeug, ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass Musik auf diese Art ihre Wertigkeit behält. Es mag an meiner Sozialisation liegen, aber ein Musikstück, eine Aufnahme, die ich nicht in Form eines physischen Tonträgers aus Serienfertigung besitzen kann (kann wohlgemerkt), hat für mich keinen Wert an sich. Ich kann diese Aufnahme schön finden, gerne hören usw., sie bleibt trotzdem auf eine Art nicht greifbar und wertlos.
Das „Problem“ mit der „trägerlosen“ Musik ist aber nicht neu: was ist denn mit Radio (vor der Verbreitung von Tape-Rekordern) oder eben mit der Musik vor der Erfindung von Aufzeichnungsmedien? Als einziges Aufbewahrungsmedium bleibt die Erinnerung.
Mikko
Das ist vermutlich wirklich eine philosophische Frage. Womöglich gibt es in einigen Jahrzehnten tatsächlich Popstars, deren Aufnahmen man nur noch individuell runterlädt und im I-Pod – oder was immer dann en Vogue ist – mit sich rumträgt. Aber wie bestimmt sich dann der Wert dieser Aufnahmen? Potenziert er sich im Verhältnis zur Zahl der Downloads, oder wie? Werden nicht trotzdem Hunderttausende Musikliebhaber manipuliert, indem man ihnen einredet, dass Sänger XY der beste und glaubwürdigste ist? Bedeutet das nicht eine unsägliche schreckliche Gleichmacherei? – Oder ist es die absolute Befreiung? Der Sieg der vollkommenen Individualität? Jedem seine eigenen TOP 100! Und keine gleicht den anderen. Wie unfassbar wundervoll – und dämlich. Wird nicht Musik auf diese Art zu etwas völlig Beliebigem, Wertlosem?Ich glaube das Insistieren von Vinylfans auf ihre Vorlieben ist eine unbewusste Abwehr gegen diese Beliebigkeit und auch gegen die Unkontrollierbarkeit der virtuellen Welt.
Ja, ich finde, das Gefühl des Wertverlusts hängt (meinen Beobachtungen nach) mit der Frage zusammen, ob jemand Sammler ist (und welches Alter er hat – also mit welchem „Datenträger“ er sozialisiert wurde). Wieso kann ein MP3-Stück nicht viel Geld wert sein? Natürlich ist es bei MP3s schwieriger an Wert zu gewinnen, weil es sich (leicht) kopieren läßt und es zudem an einer Authentifizierungsauthorität mangelt. Anderes Beispiel aus der digitalen Welt: für viele Computerspiele werden Unsummen für abgespeicherte Spiele geboten (die dann dem Besitzer, besser: Anwender, mehr Möglichkeiten geben, virtuelle Gegenstände etc). Auch nichts Stoffliches – allerdings ist das Kopieren erschwert dadurch, dass die Savegames (meines Wissens) im Normalfall nur auf speziellen Servern laufen, also eine gewisse Einzigartigkeit besitzen. Vielleicht ändert sich diese Wertigkeit von MP3s ja dann, wenn die Industrie ein funktionierendes Digital Rights-Management durchsetzt (ich bezweifele das und würde es auch nicht begrüßen).
Zur Sozialisation: ich kaufe mir eigentlich alle CDs (sofern verfügbar) selber, Gebranntes habe ich nur zum Kennenlernen, gefällt es mir, wird die CD gekauft. Sicherlich ist das angesichts der Kopierbarkeit einer CD nicht mehr so „wichtig“ sie zu haben – aber das ist eben irrational (so wie alles Sammeln irgendwo irrational ist). Ich kenne viele, die ihre CDs auf die Festplatte gerippt haben (udn die CDs dann verkauft haben), ich könnte das nicht.
Das Sammeln nicht kopierbarer Medien ist schwieriger und teurer (die Anzahl ist ja begrenzt) – deswegen hat die Sammlung ja einen größeren Geld-Wert (und darüber auch einen größeren persönlichen Wert). Meine CD-Sammlung bedeutet mir nicht so viel wie meine Comic-Sammlung.
Mikko
Musik an sich hat immer nur den Wert, den wir ihr individuell zugestehen. Insofern hat das Schlaflied, das mir meine Mutter vorsang, als ich sechsjährig mit Masern im Bett lag, einen viel größeren Wert als jede Komposition von Wolfgang Amadeus Mozart oder jede Aufnahme von Bob Dylan. Aber was nützt mir diese Erkenntnis?
Viel. Aber nur Dir. Schlaflieder hat mir meine Oma vorgesungen, laut und falsch und mich damit vom Einschlafen abgehalten. Ich mochte sie sehr und habe deswegen nie etwas gesagt.
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If you talk bad about country music, it's like saying bad things about my momma. Them's fightin' words.