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MikkoAngesichts der stetigen Zunahme legaler Downloads und sprunghaft gestiegener Gewinne der Firma Apple durch I-Pod Umsätze wird die Frage nach dem Wert von Musik immer dringlicher. Wie misst man den Wert eines nicht mehr als physischer Tonträger vorhandenen Tracks? Einer Aufnahme, die womöglich kostenlos zum Download angeboten wird auf der Homepage einer Nachwuchsband? Aber auch des Livemitschnitts vom letzten Neil Young Konzert, der via Internet bei Tauschbörsen und auf CD-Rs von Fans für Fans angeboten wird?
Da ich mich bisher und wohl auch auf absehbare Zeit diesen Quellen weitestgehend verweigere, spielt das für mich persönlich keine echte Rolle. Es ist mir auch schlichtweg zu viel, ich fühle mich oft von der Masse der (legal) zugänglichen Downloads schier erschlagen. Ich bin auch kein Freund von Massentausch unter Fans, das pure Jagen und Sammeln kann zur Obsession werden. Ab und an ein paar Rosinen picken ist für mich persönlich in Ordnung, das wars dann aber auch.
MikkoBei Mozart und Beethoven war die Sache noch ganz anders. Ihre Werke schrieben sie von Hand in Notenschrift nieder. Bezahlt wurde von den Fürstenhäusern, die zumeist Kompositionen in Auftrag gaben. Bezahlt wurden selbstverständlich auch die Musiker, die Werke klassischer Musik aufführten. Später dann wurden gedruckte Noten verkauft. Das Musikverlagswesen entstand.
Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts gab es jedoch so gut wie keine Möglichkeit, Aufführungen von Musik anders als durch Notenschrift zu dokumentieren. Alte und seltene Notendrucke oder gar Handschriften können – abgesehen von ihrem historischen Wert – sicher auch einen Sammlerwert für Musikliebhaber besitzen. Aber das soll uns hier weniger interessieren.
Die Musik und ihr Wert definierten sich bis dahin jedenfalls vollkommen anders, als im Zeitalter der Schallplatte. Eine Aufführung war – ohne die Möglichkeit der Aufnahme oder gar Reproduktion – immer einmalig und nicht wiederholbar im wahrsten Sinne des Wortes. Auch wenn man vermuten darf, dass die Aufführungen einer Oper oder Operette mit denselben Künstlern meistens zumindest recht ähnlich, ja fast gleich geklungen haben werden.
Interessanter Aspekt und interessante Ausführungen. Aber (sorry) Schnee von vorvorgestern. Für mich persönlich irrelevant.
MikkoEs stellt sich aber doch die Frage, muss man Robert Johnson von einer originalen Schellack gehört haben, um die Bedeutung – den Wert – seiner Musik begreifen zu können? Können dann also nur die wenigen glücklichen Besitzer einer Robert Johnson Originalpressung ermessen, was der Mann für die Nachwelt bedeutet? Gerade im diesem konkreten Fall wird die Sache besonders diffizil. Wie hätte Johnson geklungen, wäre er nur rund 20 Jahre später mit verbessertem Equipment aufgenommen worden? Andererseits sind die Aufnahmen des Mannes ja gerade so wie sie sind legendär und einflussreich geworden. So what? – Trotzdem muss die Frage erlaubt sein, ob man diese Aufnahmen nicht auch von Vinyl, Tonband oder CD (ja auch CD) hören darf, um sich ein Bild machen zu können. So lange die Aufnahmen so klingen wie die ursprüngliche Schellackplatte, kann daran nichts falsch sein. Der Wert der ursprünglichen Schellack Ausgabe bemisst sich allerdings aus zweierlei. Der Bedeutung und Wertschätzung die der Musik, der Aufnahme an sich, von Musikliebhabern und Fachleuten zugestanden wird, und der Seltenheit der originalen Pressung natürlich. Das zusammen ergibt den Sammlerwert.
Ein schönes Beispiel. Ich besitze „The Complete Recordings“ auf CD, besaß jedoch nie die alten originalen Aufnahmen auf Schelllack oder Vinyl. Da ich nur ein normaler Musikfreund bin, kein Musikwissenschaftler oder selbst Musiker, haben solche alten Aufnahmen für mich sicher nicht den Wert, den sie für Experten, Fachleute oder Freaks haben. Von meiner persönlichen Warte aus kann ich die Gottgleicheit, die Johnson von diversen Fachleuten beigemessen wird, auch nicht so richtig nachvollziehen. Der Mann „singt“ für meine Begriffe ziemlich grauenhaft. Obwohl diese (oder ähnliche) Aufnahmen sicher musikhistorisch interessant sind und mich auch durchaus manchmal in einen gewissen Bann schlagen.
Ich höre sie alle Jubeljahre ab und zu an und auf CD klingen die alten Kamellen für meine Begriffe teils schauerlich genug. Vielleicht können die alten Originale hier noch einen draufsetzen, keine Ahnung. Weshalb soll man diese Aufnahmen (auch als Experte oder was immer) nicht auf CD abhören können oder dürfen ? Ich sehe keinen Grund, der dagegen spechen würde. Es sei denn, man ist Schelllack- oder Vinylfetischist mit missionarischem Eifer und unverrückbaren Überzeugungen dahingehend. Aber Diskussionen in der Richtung gehen meist so:fencing: aus. Mach ich nicht, will ich nicht.
MikkoEs soll ja bereits Leute geben, die sammeln Musik als Datenpakete, als Soundfiles. Das ist sicher sehr praktisch. Und sofern man seine Festplatte in zwei Kopien an verschiedenen Orten aufbewahrt, ist man auch vor Verlusten einigermaßen sicher, aber ansonsten ist das doch ziemlich arm, oder nicht? Mal abgesehen von der Diskussion um Nullen und Einsen, um Treppenstufen und all dieses Zeug, ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass Musik auf diese Art ihre Wertigkeit behält. Es mag an meiner Sozialisation liegen, aber ein Musikstück, eine Aufnahme, die ich nicht in Form eines physischen Tonträgers aus Serienfertigung besitzen kann (kann wohlgemerkt), hat für mich keinen Wert an sich. Ich kann diese Aufnahme schön finden, gerne hören usw., sie bleibt trotzdem auf eine Art nicht greifbar und wertlos.
Ich gehöre zu den Leuten, die Musik teilweise als „Datenpakete“ ausgelagert haben bzw. sie auch anderweitig als zu Hause als komprimierte Files nutzen. Und ich finde das keineswegs „arm“.
Ich muss nicht ständig glückseelig lächelnd mit Hochglanz-Linernotes in der Gegend herumlaufen und das schön aufgemachte Jewelcase im Sessel sitzend rubbeln und streicheln. Unabhängig von einer Diskussion „Originale-Rohlinge-Tauschbörsen“ etc. bin ich keiner, der z.B. mit Predigern, welche immer wieder irgendwo irgendwem verkünden, wie sehr die Musik ihr Leben bestimme, wie sehr sie die Musik lieben und verehren, wieviel sie ihnen bedeutet usw. usw. irgend etwas anfangen kann. Solche teils penetranten Menschen, die auch immer wieder gerne und auch gerade den Wert einer Musik am Originaltonträger -welcher immer es sein möge- festmachen und nichts, aber auch gar nichts ansonsten gelten lassen, sind mir ziemlich suspekt.(Mikko: das ist nicht auf dich persönlich gemünzt, krieg das bloss nicht in den falschen Hals)
MikkoDas ist vermutlich wirklich eine philosophische Frage. Womöglich gibt es in einigen Jahrzehnten tatsächlich Popstars, deren Aufnahmen man nur noch individuell runterlädt und im I-Pod – oder was immer dann en Vogue ist – mit sich rumträgt. Aber wie bestimmt sich dann der Wert dieser Aufnahmen? Potenziert er sich im Verhältnis zur Zahl der Downloads, oder wie? Werden nicht trotzdem Hunderttausende Musikliebhaber manipuliert, indem man ihnen einredet, dass Sänger XY der beste und glaubwürdigste ist? Bedeutet das nicht eine unsägliche schreckliche Gleichmacherei? – Oder ist es die absolute Befreiung? Der Sieg der vollkommenen Individualität? Jedem seine eigenen TOP 100! Und keine gleicht den anderen. Wie unfassbar wundervoll – und dämlich. Wird nicht Musik auf diese Art zu etwas völlig Beliebigem, Wertlosem?
Ich glaube das Insistieren von Vinylfans auf ihre Vorlieben ist eine unbewusste Abwehr gegen diese Beliebigkeit und auch gegen die Unkontrollierbarkeit der virtuellen Welt.
Ich halte deine Bild der (künftigen) Lage erst einmal schlicht für den ganz normalen technischen Fortschritt, den mit Masse niemand wird aufhalten können. Menschen wie Du oder ein paar andere werden -wenn sie von Seiten der mächtigen und künftigen Musikindustrie noch in irgend einer Form als Zielgruppe wahrgenommen werden- auch künftig noch zu ihren heiß geliebten greifbaren, anfassbaren und wertigen „Wohlfühltonträgern“ greifen können. Sollte es anders kommen, wird vielleicht in ein paar Jahren schon und vielleicht gerade in diesem Forum das ganz große Wehklagen bei verschiedenen Menschen ausbrechen.
Ich denke, zumindest derzeit und auf die nächsten paar Jahre hat jeder es großteils noch selbst in der Hand, gewissen Strömungen und Tendenzen insbesondere technischer Natur nicht unbedingt folgen zu müssen. Einigen Leuten verleiht es auch das gute Gefühl, ein Fels in der Brandung der Beliebigkeiten zu sein. Ich persönlich sehe diesen Entwicklungen zwar auch mit einer gewissen Abneigung entgegen, aber ich bin Realist genug um zu erkennen, daß vielfach das Beklagen und sich Sorgen machen nicht wirklich weiter hilft.
In gewissem Sinne ist auch eine Anpassung an neue Dinge, neue Technik, neue Tonträger etc. durchaus gefragt, ohne daß die schönen alten Tage über Gebühr betrauert werden.
MikkoMusik an sich hat immer nur den Wert, den wir ihr individuell zugestehen. Insofern hat das Schlaflied, das mir meine Mutter vorsang, als ich sechsjährig mit Masern im Bett lag, einen viel größeren Wert als jede Komposition von Wolfgang Amadeus Mozart oder jede Aufnahme von Bob Dylan. Aber was nützt mir diese Erkenntnis?
Mit dieser Erkenntnis hast Du es eigentlich auf den Punkt gebracht.
Jeder für sich hat seine Wertigkeitsskalen in Sachen Musik, Tonträger, Technik, Gefühl und Erleben.
Diese Erkenntnis kann sehr viel nützen, z.B. bei dem Eingeständnis sich selbst gegenüber, daß man nicht immer viele Jahre an alt bewährten, persönlich als wertvoll erachteten und lieb gewonnenen Dingen festhalten muss. Man kann auch durchaus aus neuer Technik, neuen Formen der Medien, neuen Tonträgern für sich in Maßen und Grenzen einen neuen Nutzen ziehen.
Vielleicht werden ja irgendwann unsere Enkel oder Urenkel das Verschwundensein guten alten CD betrauern und irgendwelche Wireless-Bluetooth-Datenkristalle in die Hölle wünschen.
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[kicks sagt:] ( schon alleine dass da keine Nüsse drin sind zeigt dass es ein allgemeiner check is )