Re: Prince – 3121

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clau
Coffee Bar Cat

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Funk und Weihrauch

Brauchen wir ihn noch? Den Erotomanen und Pop-Zampano Prince, der als Slave und Symbol nervte und in Zeiten von HipHop auf Funkyness besteht? Unbedingt findet Jonathan Fischer. Das neue Album mobilisiert die brachliegenden Möglichkeiten schwarzer Musik.

Wäre Prince vor zwei Jahrzehnten jung und erfolgreich verstorben – es hätte weder seinen Mythos noch sein musikalisches Vermächtnis geschmälert. Im Gegenteil: Sein Stern würde heller scheinen als der von Sly Stone, Jimi Hendrix und Mick Jagger zusammen. Man behielte ihn als strahlenden Funk-Gott und genialen Erotomanen im Gedächtnis und müsste sich nicht mit Boulevard-Ergüssen herumschlagen, darüber etwa, wie ein abgehalfterter Weltstar vor Supermärkten verdutzten Passanten den „Wachtturm“ in die Hand drückt.

Doch Prince Roger Nelson lebt. Macht immer noch Musik. Und hat deshalb ein Problem: Wie kann einer, der jahrzehntelang Drogen, außerehelichen Geschlechtsverkehr und Schmuddelsprache propagierte, in Würde altern? Wo liegt die Essenz einer Musiker-Persönlichkeit, die sich hinter Pseudonymen wie „Symbol“, „Love Symbol“ oder „TAFKAP“ glaubte verstecken zu müssen, um letztlich wieder zum Altbewährten zurückzukehren? Und: Was dürfen wir von einem geläuterten „Sexy Motherfucker“ erwarten?

Wie schon der 2004 veröffentlichte Vorgänger „Musicology“ das neue Album „3121“ im Gewand der Rückschau und Mäßigung daher. 3121, so lautet die Hausnummer von Prince in den Hollywood Hills. Dürfen wir uns also auf einen Hausmusik-Abend gefasst machen? Ja, zumindest wenn es nach der ersten schnulzigen Single „Te Amo Corazon“ geht. Sanftes karibisches Geplätscher, gefällig arrangierte Gitarren und Flöten – Musik, die man eher Enrique Iglesias als dem schrägen Funk-Alchimisten aus Minneapolis zugetraut hätte.

Prince aber klagt nicht, bereut nichts. Geändert hat sich nur die Perspektive. Songtitel wie „Beautiful Love And Blessed“ sprechen für sich. Da zelebriert der Mann, der einst in G-Strings auftrat und auf der Bühne nonstop den Geschlechtsakt simulierte, die Wonnen monogamer Zweisamkeit. Gießt ein wenig Pop-Sirup in seine Endorphin-Maschine und greift ansonsten in Rock-Nummern wie „Fury“ auf erprobte und gelobte Achtziger-Jahre-Rezepte à la The Time zurück. Die mit ihrem 47-jährigen Idol gealterten Fans muss das nicht stören: Auch Revolutionäre bleiben nicht ewig jung. Doch kann der Immer-Noch-Weltstar für sein Alterswerk die Aufmerksamkeit von vor 20 Jahren erwarten?

Schließlich brillierte das Gesamtkunstwerk Prince in der Vergangenheit durch die Schaffung fantastischer Welten erotischer Freiheit und Selbstfindung und drang mit metaphysischem Anspruch in jene bizarren Lustzonen vor, wo sich Porno und Psychoanalyse gute Nacht sagen. Mit lyrischen Schamlosigkeiten und „feucht-flatternden Traumpoemen“ tanzte der Musiker auf den letzten Tabutrümmern der postmodernen Gesellschaft. Inzest, Oralsex, Sadomasochismus: Wegen Prince mussten einst die „explicit lyrics“-Sticker erfunden werden.

Bemerkenswerter noch als die Schocktexte aber: Sein Ausbruch aus dem Ghetto schwarzer Musikklischees. Der Sohn einer Nachtclubsängerin und eines Tanzbandleaders konterkarierte in Damenstrümpfen und Rüschenhemden nicht nur die Macho-Posen des zeitgleich aufblühenden HipHop, er fegte auch alle Grenzen zwischen Funk, Rock, Soul und Jazz hinweg – in einem Rausch aus Improvisation und Egomanie. Mit „Purple Rain“ stand er 1984 auf dem Gipfel des Erfolgs: Album, Single und der gleichnamige Film standen jeweils an der Spitze der Charts. Auch „Around The World In A Day“ (1985) und „Sign O The Times“ (1987) vereinten Pop-Appeal und anarchische Kreativität. Nur ein Jahr später verabschiedete sich Prince als Popinnovator: Mit dem (lange nur als Bootleg kursierenden) „Black Album“ schien der geheimnisvolle Prinz entzaubert.

Wenn es in den letzten fünfzehn Jahre still um ihn geworden war, lag das aber auch an den Fallstricken der eigenen Eitelkeit. Prince hatte mit seinem Label Warner den wohl besten Plattenvertrag aller Zeiten ausgehandelt – 60 Millionen Dollar für sechs Alben. Wegen eines Streits um die Rechte an seinen Songs inszenierte sich der Superstar dennoch als Opfer: Er schrieb sich „Slave“ auf die Stirn, und lieferte, um sein Label zu ärgern, nur noch Drittklassiges ab.

Der genialische Glanz solcher Jahrhundertwerke wie „Kiss“ oder „Sign O‘ The Times“ – er drohte sich in einer nicht enden wollenden Selbstfindungskrise ihres Autoren zu verlieren. Hinter ausufernden Jazzfusionen und wirren Religionstraktaten ließ sich kaum noch der hitverliebte Narziss von einst erkennen. Zudem erwies sich Prince neue Plattform im Internet als Seifenblase: Nur die wenigsten Fans waren bereit, 25 Dollar dafür zu investieren, sich auf Lebenszeit die Ergüsse des Meisters aus dem Netz laden zu dürfen.

Seit 2004 aber hat Prince sich wieder in die Fänge der Majors begeben. Sein jüngstes Album veröffentlicht er gar – vom Labelkollegen Stevie Wonder eingefädelt – auf dem Soul-Traditionslabel Motown. Das Eingeständnis, Geschichte zu sein? Auch wenn „3121“ nicht an die Klassiker heranreicht: Die Popwelt braucht Prince. Gerade in Zeiten, in denen R’nB-Sänger wie austauschbare Fließbandware wirken, und ein halbes Dutzend Hit-Produzenten die Charts unter sich aufteilen, wirkt ein Prince-Album wie eine Mahnung an all die brachliegenden Möglichkeiten schwarzer Musik.

„Te Amo Corazon“ hin oder her: Synthie-getriebene Funk-Minimalismen wie „Black Sweat“ können immer noch mit jedem Neptunes-Beat konkurrieren. Und: Prince Referenzen reichen weit über das MTV-Universum hinaus: Von der Bläser- und Latin-Rhythmen-befeuerten Jam „Get On The Boat“ bis zur Old-School Soulballade „Satisfied“.

„Er erinnert mich an Duke Ellington, James Brown, Charlie Chaplin“, hatte Miles Davis einst über den Eklektizismus des jüngeren Kollegen gesagt. „Aber es ist dieses Kirchending in seiner Musik, das ihn auszeichnet“. Bei Prince durften sich schon immer funky Ausdünstungen in den Weihrauch mischen. Und wie der Sänger in „Black Sweat“ bekennt: Fromme Vorsätze sind nicht alles. „I don’t want to take my clothes off/ but I do …“ Dafür lieben wir ihn noch immer.

Quelle: spiegel-online

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