Re: Ludwig van Beethoven

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gypsy-tail-wind
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Okay … dann mal los: Beethoven. Zum Auftakt mal ein paar Aufnahmen der Violinsonaten, die ich kenne und – in den meisten Fällen – schätze.

Beethovens Violinsonaten und Klaviertrios lagen ganz am Anfang meiner Beschäftigung mit klassischer Musik und ich höre noch immer alle zehn etwa einmal pro Monat, manchmal auf öfter, und greife einzelne heraus … eine der ersten Einspielungen des ganzen Zyklus, den ich hatte, war der von Isaac Stern mit Eugene Istomin – wie sich mit der Zeit zeigen sollte, keiner der ganz guten. Für die „Kreutzer“ fehlt der Zugriff, den ich am ehesten als „ethnischen“ beschreiben kann, völlig. Aber die zehnte Sonate, in die mich sehr bald verliebte, ist bei den beiden doch wunderbar innig und zugleich gelassen, von einer schnörkellosen Klarheit. Dann gab es Heifetz, auch mit dem grossartigen Violinkonzert, Boston/Munch 1956, später NBC/Toscanini 1940 (bei Stern NYPhil/Barenboim), das Tripelkonzert (Stern/Istomin/Rose, Philly/Ormandy 1964) – aber das lasse ich jetzt wohl alles besser einfach mal weg, erwähne nur noch rasch Ginette Neveu (Rosbaud, 1949), Yehudi Menuhin (Furtwängler, 1947) und Christian Ferras (Karajan, 1967)

Ich kaufte mir in der Folge CDs von Geigern, aber auch von Pianisten, hörte das Violinkonzert (Staatskapelle Berlin/Blech 1925 und London Phil/Babirolli 1936) und auch die Violinsonaten (Rupp, 1935/36) mit Kreisler, die Sonaten mit Heifetz (Bay, 1947/52, die „Kreutzer“ mit Moiseiwitsch 1951) … da ich schon etwas Klaviersonaten mit Kempff gehört hatte, wollte ich die Sonaten von Menuhin und Kempff haben (eine lahme Kreutzer, eine wundervolle zehnte), ich stiess über die ICON-Box von Arrau (auch ein paar Klaviersonaten, die mich aber nicht sehr packten) auf ein 4CD-Set mit Joseph Szigeti (den ich schon von den Solo-Violin-Werken Bachs kannte und enorm schätzte) und den kompletten Violinsonaten Beethovens – wundervoll! Eine ganz innige Interpretation, leider in recht schlechtem Klang, aber dennoch so etwas wie eine Referenz für mich. Dann stiess ich auf eine LP mit zwei Sonaten von Henryk Szeryng und Artur Rubinstein – Szeryng noch ein unbekannter Name, Rubinstein mit Chopin schon geschätzt – und das war bis dahin wohl die beste „Kreutzer“, die ich hörte – und bis heute einer meiner liebsten.

Die grosse „Kreutzer“ fand ich dann bei Szigeti auch: ebenfalls live und in suboptimalem Klang, aber was für ein Wurf! 1940 mit Béla Bartók am Klavier eingespielt. Das ist die „ethnische“ Kreutzer, die ich meine – so sollte man dieses Ding spielen, unglaublich!

Später kamen Grumiaux/Haskil hinzu (die ich bei Mozart deutlich mehr schätze), zudem Francescatti/Casadesus und Ferras/Barbizet, beide hervorragend und nochmal deutlich anders, als was ich kannte. Die „Kreutzer“ von Yehudi und Hephzibah Menuhin stieg auch in den obersten Kreis auf, und auch jene von Max Rostal (Osborn, 1951) gefällt mir sehr, sehr gut. Natan Milstein, dessen feines Spiel ich vielerorts äusserst schätze, bleibt hingegen hier etwas blass (Balsam, 1951).

Jüngere Neuzugänge waren einerseits Isabelle Faust mit Alexander Melnikov (schön, aber noch nicht oft gehört) sowie die erste HIPpe Aufnahme mit Midori Seiler und Joos van Immerseel (am Hammerklavier) – auch diese Einspielung habe ich noch nicht oft gehört, Immerseel scheint mir da und dort sehr schwerfällig zu sein, aber Seiler macht alles richtig und spielt phantastisch. Doch für eine wirklich gute Einspielung braucht es eben – und darunter kranken wohl auch z.B. die mir bekannten Heifetz-Aufnahmen ein wenig – auch einen Pianisten, der sich einmischt und engagiert am Geschehen teilnimmt, wie das Casadesus, Haskil und noch mehr Barbizet, Rubinstein, Hephzibah Menuhin und Béla Bartók tun.

Sehr schön sind übrigens auch die beiden Sonaten, die Thomas Zehetmair 1985 mit Malcolm Frager am Hammerklavier eingespielt hat, leider auch da nur die „Frühling“ und die „Kreutzer“, aber gerade letztere ist klasse.

Die allerjüngste Anschaffung ist – in der zweiten Music & Arts-Box – der unvollständige Zyklus (Nr. 2, 5, 6, 9, 10) von Szymon Goldberg (den ich mit Radu Lupu in den Mozart-Sonaten entdeckte und sofort sehr gerne mochte, also musste mehr her) mit Lili Kraus am Klavier.

Und ich bin nicht da, um diese Werke und ihren Wert oder ihre Gültigkeit zu hinterfragen. Von dem ausgehend, was ich bisher aus (ungefähr) der Zeit kenne – Violinsonaten von JS Bach, CPE Bach, JC Bach, AL Couperin und dann natürlich Mozart – scheint mir augenfällig, dass Beethovens Violinsonaten einen anderen Charakter haben als alle genannten. Ich tue mich sehr schwer damit, das in Worte zu fassen, sie sind nach meinem Empfinden einerseits weniger auf eine intime Situation – die Hausmusik, das gepflegte Clavierspiel mit obligater Violine – angelegt, aber musikalisch sind sie womöglich noch inniger und intimer – wenigstens wenn man sie so spielt, wie Joseph Szigeti und Claudio Arrau das taten, oder so, wie Grumiaux/Haskil oder auch wie Ferras/Barbizet und Francescatti/Casadesus. Als Werke setzen sie wohl irgendwo gegen Ende von Mozarts Sonaten an, bei KV 454, 481 und 526 wohl. Was ich sagen will: Ich höre die Dinger alle gerne, unabhängig davon ob z.B. die ersten drei oder die achte besonders gut sind … aber ich werfe mal in die Runde, dass ich nicht verstehe, warum die fünfte neben der „Kreutzer“ eine Ausnahmeposition einnimmt. Oder doch: ich höre und verstehe … aber wenn ich die vierte, die sechste, erst recht die wundervolle zehnte höre, begreife ich nicht, warum die nicht auch … oder ich begreife es doch, weil die fünfte halt so hübsch frühlingshaft hüpft – aber in meiner Welt ist sie eine unter anderen und die neben der „Kreutzer“ wichtigste ist mir ganz gewiss die zehnte.

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