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Amerika? Wieso nannten BAP ihr Album „Amerika“? Klang zwischen den Zeilen nicht immer ein bisschen Kritik durch, wenn es um den Nato-Bruder ging? Durfte das überhaupt durchklingen? Hatte ich mich verhört oder war sogar Ironie?
Die ersten Gedanken an dem Tag X, als ich das Album zuhause in den Player schob warren wirr. Dann erklingt die Akustikgitarre, leichte Kost und danach beginnt der Gesang. Nach dreißig Sekunden war ich wieder 100% bei BAP, obwohl ich nach den letzten Veröffentlichungen immer missmutiger wurde. Jetzt hatten sie mich wieder. Was sang er da? Fußball auf der Straße? Ja, das kannte ich doch auch noch. Ich war immer Köln-Fan gewesen, davor wusste ich nicht, dass jede Stadt ihren Fußballverein hat. 1978 wird Köln Meister. 1980 Klassenfahrt nach Köln (die Liebe macht die Fahrt unvergesslich), 1981 BAP zum ersten Mal im Fernsehen gesehen – auch aus Köln. Alle malten Bäume oder Gitarren, ich malte den Kölner Dom oder das BAP-Logo oder den Ziegenbock vom FC, jenachdem. Und diese Erinnerung löste „Nix wie bessher“ in mir aus und ja, es war nichts wie bisher. Bei mir nicht und bei BAP anscheinend auch nicht.
„Silver un Jold“, diese optimistische Beziehungskiste, die gesetzte Fröhlichkeit, das Flair der Aufbruchstimmung nach dem Krieg. Allmählich wurde mir klarer, was das für ein Album wird und wie sich Amerika da einordnet. Verlustängste, Versagensängste, Angst vor Verantwortung, es wird viel beschrieben, was seitdem eigentlich tagesaktuell ist, mit Worten die dieses Album fast zeitlos machen. Etwas seichter und uninteressanter wurschtelt man sich durch „Wie ’ne blaue Ballon“, nur um dann in „Saach, wat ess bloß passiert“ mal die sarkastische Breitseite Niedeckens zu hören. Vielleicht gehört es sich nicht, so etwas seiner Ex hinterher zu sagen, aber in dieser Form ist es allemal hörenswert. Dann kommt mit „Amerika“ der Titeltrack. Ein Monument, wie es dass seit „Kristallnaach“ oder „Bahnhofskino“ nicht mehr gegeben hat. Bedrohlich, fremd. Vielleicht liegt es an dem Booklet, aber ich sehe die Befreier auf den Panzern sitzen, die da durch die Straße kommen. Keiner weiß was genaues, aber jeder kennt irgendwas. Und dann dieses Saxofonsolo in der Mitte des Songs, bei dem dann die Tonart wechselt. Da zeigt Jens Streifling seine ganze Klasse und spätestens da war er auch der kompositorische Motor. „Niemohls verstonn“ holt einen auf den Boden der Tatsachen zurück. Eine Tatsache ist die vermeintliche Belanglosigkeit, mit der Niedecken teilweise textet. Jahre später entfaltet sich der Song aber, weil man nur zu gut erkennt, wer was wie niemals versteht. „Talk-Show“ habe ich immer auf „Comics & Pinups“ vermutet. Das könnte daran liegen, dass es fast schon zu müßig ist, für dieses Thema eine BAP-Musik zu verplempern. Andererseits: Wer in zahlreichen Talkshows schon war und eigentlich etwas zu erzählen hat und am Ende alle nur wissen BAP heißt Vater, der kann schon mal sauer aufstoßen. Auf dem Pik Sibbe“-Album gibt es den Song „Paar Daach fröher“. Mittlerweile ist die Erkenntnis für Niedecken, endlich angekommen zu sein in Stein gemeißelt und das soll auch jeder wissen. „Do jeht ming Frau“ ist eins der besseren Liebeslieder und ein klares verbindliches Statement. Punkt. Und als ob „Amerika“ nicht schon Schwelgerei genug wäre, liefern BAP mit „Novembermorje“ auch noch einen zweiten Schinken, dessen Anlass zwar trauriger Natur ist, der aber durch Worte und Musik Bilder beschreibt, die den November erträglicher machen. Wie wabernde Nebel wälzt sich die Band durch das Werk. Und schon folgen „Völlig ejal“ (was seinem Namen alle Ehre macht) und „Wirklich noch nie“, die auch hier wieder den Meistklassestatus untergraben. Schade schade. „Asphaltpirate“ setzt das fort, was als Amateurkapelle in „Et letzte Leed“ begonnen wurde. Ein Dank an die treuen und fleißigen Hände. Warum nicht, wenn man es kann. Der letzte Song ist dann die große Überraschung. Eine Cover-Version der Pogues „Fairytale Of New York“ wird ins Kölsche umgedichtet „Weihnachtsnaach“ und als ob das noch nicht keck genug wäre, hat die hier phänomenal intonierende Nina Hagen ihr Scherflein dazu beigetragen, dass man hinterher sagt: Weihnachten ist gar nicht so schlimm.
Die Vielfalt der Arrangements, das kompakte Zusammenspiel und die greifbaren und vor allem begreifbaren Texte machen das Album für mich zu ihrem besten. Noch vor „Salzjebäck“ mittlerweile.
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Das fiel mir ein als ich ausstieg.