Re: Wolfgang Amadeus Mozart

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gypsy-tail-wind
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Ich hole das alles aus dem Hör-Thread hier rüber (man beachte das Seehund-S im Titel ;-))
Den kleinen Austausch mit Zappa1 über Jochum und die Krönungsmesse etc. lasse ich aber weg.

gypsy tail wind

Unfassbar! Mag sein, dass Bach mehr Zeit braucht, ich nicht bereit bin … aber das hier packt mich ganz ungeheuerlich, wie die Missa solemnis beim ersten Hören. Wahnsinn!

clasjaz:sonne: Ja! Ein phantastisches Werk, wenn auch Fragment, aber ein großes. Besonders Chor und Orchester sind aus einem Guss; nichts gegen die Solisten, sie haben ganz große Momente, wobei ich mir fast Stader mit etwas mehr direktem, unverschnörkeltem Ernst wünschte. Aber ach was, das „Laudamus te“ und zumal das „Et incarnatus est“ sind als Partien schon sehr großartig und das „Domine Deus“ mit Hertha Töpper nicht minder (und diese hat eben das etwas Unverschnörkeltere in der Stimme).

gypsy tail windAch, ich geniesse gerade (inzwischen im zweiten Durchgang, Haydn liess ich weg, gleich wieder an den Anfang zurück) das solistische Singen sehr – in den „Summer of Soul“-Sendungen auf Arte kam schon zweimal der Interview-Ausschnitt mit diesem Hype-Jazzsänger der letzten Jahre, Gregory Porter, in dem er eine Linie singt, innigst, einmal mit „Lord“, das nächste mal mit „Baby“ – das geht ja irgendwie in der Klassik auch, fängt ja schon bei Monteverdi an … und auch bei Bach oder eben Mozart sind die geistlichen Arien doch zugleich oft auch von einer grossen Sinnlichkeit (ich denke z.B. an die Bach-Kantate „Mein Herze schwimmt im Blut“ (BWV 199). Klar kann man Nuancen fordern oder bevorzugen, aber mich dünkt der Unterschied ist kein wesentlicher sondern ein gradueller.

clasjazDas – der Unterschied von Geistlichkeit und Sinnlichkeit – ist aber wieder eine andere Spielstätte, auf die ich mich gar nicht begeben wollte. Die sakrale Musik kann ja ebenso hoch aufgeladen sein von Emotionalität, ohne dass von Beischlaf und seinen Varianten die Rede sein müsste; und umgekehrt kann ein sinnliches Lied seine musikalische Emotion aus einer herausfordernden Geistigkeit, Geistlichkeit, was weiß ich, hervorzaubern, sich gerade daran die Finger wundnagen (Schubert). Aber eben, das ist so vielfältig, dass es mir darum gar nicht explizit ging.

gypsy tail windStimmt, da habe ich Dinge vermischt, die eigentlich so nicht zu vermischen sind – oder wo man weiter in die Tiefe gehen muss, will man sich darüber unterhalten.

gypsy tail windFür Brahms war ich gestern dann doch zu müde, die dritte Sonate schaffte ich nicht mehr – wird nachgeholt, die ganze CD. Jetzt bin ich noch einmal bei Harnoncourts Einspielung der „Vesperae solennes de confessore“ (KV 339) und diesmal schwer beeindruckt! Der Sopran im Laudate Dominum allerdings ist so anders zu als die show pieces in der Grossen Messe, dass ich Mühe habe, da überhaupt einen Vergleich zu ziehen. Das hier scheint mir innig, tief, fernab von jeglicher Zurschaustellung vokalen Könnens – und genau das packte Mozart in die Grosse Messe mit rein (und das stört mich nun gar nicht, wie gesagt, das war ja Teil meiner vereinfachenden Vermischung oben).

clasjazShow pieces also … Vorhin habe ich im alten Kretzschmar, Führer durch den Concertsaal, Leipzig, 4. Aufl., zur c-moll-Messe gelesen – Kretzschmar, der in den „Dr. Faustus“ Eingang fand. Ich wollte, wenn ich mir jetzt die Mühe des Abtippens mache, die betreffenden Beiträge hier in den Mozart-Thread kopieren, aber wie man das mit Zitaten in Zitaten macht, ich fand’s nicht heraus. Also hier. Kretzschmar, gypsy, hört und sieht die Arien eher wie Du, was die Chöre betrifft, bin ich auch bei ihm; zuerst geht’s um die Masse der eher unbedeutenden frühen Messen, ein paar Zeilen nur, dann:

„Die hervorragendste Arbeit ist eine unvollendet gebliebene C-moll-Messe, die Mozart im Jahre 1782 begann und als eine Art Votivmesse in Salzburg aufführen wollte, wenn er Constanze als Frau dahin brächte. Sie ist am 25. August des folgenden Jahres auch wirklich in der dortigen Peterskirche – in den Lücken durch ältere Arbeiten ergänzt – gesungen und von Mozart später zum größten Teil für den „Davide penitente“ benutzt worden. Die früheren Messen überragt dieser Torso durch die größere Anlage der Sätze, durch einen strengeren an Bach und Händel genährten Stil [wohingegen die frühen Messen napolitanischen Schulen verpflichtet gewesen seien]. Den Chören ist er allen zugute gekommen, und einzelne (das „Kyrie“, das „Gratias“, das „Qui tollis“) sind Perlen Mozartscher Kunst, die den Vergleich mit der Kantate „Misericordias Domini“, mit den „Confutatis, maledictis“ und ähnlichen Sätzen seines Requiems wohl aushalten. An andern Sätzen aber zeigt sichs, daß der Meister noch nicht durch die Schule des Lebens gegangen war, am deutlichsten an den Sologesängen. Die Sopranarien „Laudamus te“ und „Incarnatus est“ fallen sogar nicht bloß aus dem Gesamtton der Messe heraus, sondern in den altmodischsten äußerlichen Bravourstil herein. Es ist somit auch [wie die Jugendmesse Nr. 6 in F-dur) diese Messe eine stark ungleiche Arbeit.“ (In der ersten Auflage von 1888 wird die Messe übrigens gar nicht erwähnt, sondern nur die Jugendmessen bekommen eine kurze Watsche.)

So bleibt – ganz abseits von einem Vergleich mit dem „Laudate Dominum“, das zweifellos die größere Schnörkellosig- und eine pfeilgerade Innigkeit aufweist – für mich gerade die seltsame Selbstbeobachtung, dass ich der Stader Mozarts (nach Kretzschmars Worten) mangelnde Lebenserfahrung untergejubelt habe. Daher: Ich wünsche mir diese Arien ja auch anders, höre sie dennoch sehr gerne, aber wenn ich sagte, dass mir etwas fehle, dann hätte ich mich wohl direkt an Mozart wenden sollen. (Ich lese hier die drei Meinungen nur gegen- oder wahlweise miteinander, aber das sieht man, glaube ich.)

gypsy tail windDas mit den Stilen ist mir irgendwie Wurst – das setzt ja in der zitierten Formulierung fast schon ein Fortschrittsmodell voraus (klar, an sowas glaubte man ja viel zu lange, manche tun es wohl heute noch, viel zu viele, befürchte ich). Heutigen Ohren ist es egal, denke ich, dass da ein älterer Stil zur Anwendung kommt – oder aber, es fällt auf, vielleicht stört es den Fluss, aber mir ging es nicht so. Ich bin jetzt gespannt auf die anderen Aufnahmen, die ich bestellt habe.

[Das Folgende stammt aus oben schon zitierten Posts, aber ich habe es getrennt, damit man die Diskussion nachvollziehen kann.]

gypsy tail windAber dennoch: Hast Du andere Einspielungen, die Du empfehlen kannst? Ich kam ja eher zufällig zu dieser von Fricsay.

clasjazNein – seltsam, gar nicht. Das hätte ich aber längst ändern sollen, wenn mir doch Stader für diesmal nicht so sehr gefällt (was ja übrigens nicht hieß, dass ich sie in dieser Fricsay-Einspielung nicht auch schätze, aber es fehlte mir etwas …, wonach ich mich also längst auf die Suche hätte begeben sollen). Um heute noch etwas über die Bernstein-Einspielung zu sagen, die ich vor Dezennien das letzte Mal gehört habe, ist es also einfach zu lange her. Ich habe sie als mit der üblichen großen Leidenschaft in Erinnerung, bei der aber zumal die Sängerinnen Auger und Stade mich doch kalt ließen – und ich mich also fragen müsste, woran, z. B. die fehlende Sinnlichkeit ihrer Stimme für mich denn gelegen haben mag. Nur diffus, weil ich sie, ebenso lange her, nur einmal gehört habe, ist die Erinnerung an einen Mitschnitt aus dem italienischen Radio mit Celibidache, Solisten weiß ich nicht mehr. Die gefiel mir damals sehr. Aber sie scheint nicht mehr greifbar zu sein. Interessant wären wohl von den Älteren, die ich in der Liste bei arkivmusic sehe (danke :-)), Jochum (die CD oben hatte ich auch mal, stimmt, eine doch gute Einspielung der „Vesperae“, diesem dritten großen Sakralwerk, und ja, das „Laudate Dominum“!, das ich von Mozart fast nur höre, neben Requiem und der Großen c-moll-Messe), Gönnenwein, Kegel, Maag, Corboz ohnehin. Und Gardiner. Jemand wie Frieder Bernius hat sie wohl nicht eingespielt, der Mann ist meist auch fein.

gypsy tail windDanke (erneut) für Deine Gedanken dazu – ich habe mir die Arkiv-Liste inzwischen auch mal angeschaut … die mich verlockenden Aufnahmen sind wohl: Hogwood, Gardiner, Corboz, Christie, Langrée, zudem ev. McCreesh und Neumann (Maag, Kegel und Bernius kenne ich alle noch nicht)

Bestellt habe ich inzwischen Hogwood, Christie, Gardiner, Langrée und McCreesh … Corboz wird gewiss noch folgen.

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