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Am Rande des Dunkels vermutet sie Licht
Das Konzert von Joan Baez auf dem Killesberg :)Die gesangliche Wiedervereinigung des vermeintlichen Folk-Traumpaars klang damals so, als hätte jemand Salbe auf eine Säge geschmiert, aus Mitleid mit dem Baum, den zu fällen der größte aller Songwriter angetreten war: Bob Dylan versammelte 1975 zu seiner damals schon nostalgischen Tournee „The rolling Thunder Review“ Weggefährten von einst, Joan Baez beispielsweise, seine Frühförderin, die er längst abserviert hatte. Als die beiden zusammen sangen, rief ein Mann aus dem Publikum: „Ihr seid ein entzückendes Paar!“ Joan Baez scherzte zurück: „Ein paar – was?“ Bob Dylan aber zog es vor, sein Statement singend abzugeben, und zerfurchte furios seinen nächsten Song „I shall be released“, während Joan Baez versuchte, zu glätten, was nicht mehr zu glätten war.
Auf der Freilichtbühne Killesberg, 29 Jahre später, enthält sich Joan Baez – ganz im Gegensatz zu früheren Konzerten – der Witze über den Mann, den sie all die Jahre beharrlich „Bobby“ genannt hat. Was nicht heißt, dass Dylan keine Rolle mehr spielt: Song Nummer elf von zwanzig, „Diamonds and Rust„, vielleicht der schönste, den sie je selbst geschrieben hat, sie alleine an der Gitarre, keine Band zu diesem intimen Lied, in dem sie bekennt: „I once loved you dearly.“ Mit einer Stimme, die ganz automatisch von Sehnsucht kündet, singt Joan Baez in diesem Lied: „Vor vierzig Jahren kaufte ich dir ein paar Manschettenknöpfe“ (im Original, eben von 1975, heißt es „vor zehn Jahren“). Und am Ende, an der Stelle, an der sie in der Albumversion ihre ganze Enttäuschung in die Zeilen legt: „Wenn du mir Diamanten und Rost anbietest – ich habe schon bezahlt“, streicht sie nun keck den Zahlungsvorgang und behauptet stattdessen selbstbewusst: „Ich nehme die Diamanten!“
Alles verarbeitet also? Von wegen. In “It's all over now, Baby blue“, dem zweiten Dylan-Cover von dreien an diesem stimmungsvollen Abend, äfft sie den Meister nach, als vom Vagabunden an der Tür die Rede ist. Ihre getragene, immer noch fast makellos funkelnde Stimme, die in den Tiefen noch an Ausdruckskraft gewonnen hat mit den Jahren und die sie in den Höhen mittlerweile so behutsam anklingen lässt, als fürchte sie, mit einem falschen Pinselstrich ein beinahe vollendetes und sehr schönes Gemälde zu zerstören, diese Stimme zurrt sie ein paar Takte lang auf nasal, damit sie klingt wie er. Sie wird ihn wohl niemals mehr los.
Es spricht für Joan Baez (63), dass sie trotz ihrer Erfahrung mit Dylan festhält an dem, was ihr wichtig ist. Das ist die Politik („Unser Präsident ist dumm“, sagt auf dem Killesberg die US-Amerikanerin mit den mexikanisch-schottischen Wurzeln), vor allem aber sind's die Lieder. Auf ihrem aktuellen Album „Dark Chords on a big Guitar“ leiht die würdig Ergraute jüngeren Songwritern wie einst Dylan ihre Stimme, Josh Ritter etwa, der im Vorprogramm behände mit Worten zur Westerngitarre jongliert, Ryan Adams oder Natalie Merchant, deren eindringliches Lied „Motherland“ Joan Baez zum musikalischen Höhepunkt des Abends gerät. Sehr einfühlsam verleiht sie den hadernden Zeilen Merchants ihre eigene Hoffnung, während Duke McVinnie, der Gitarrist ihrer fein agierenden, durchaus unauffälligen und oft hinter die Bühne verbannten Vier-Mann-Band, das Dunkle grollen lässt, an dessen Rändern Joan Baez seit 45 Jahren unbeirrbar Licht vermutet. Sie leuchtet ja auch.
Ihre Fähigkeit, zu sauberem Fingerpicking glaubhaft mitzufühlen, während sie regungslos dasteht im samtenen kleinen Schwarzen, fast erdrückt vom orangefarbenen Schal, fast, aber nur fast, fortgerissen von den Händen, die Skulpturen formen, diese Fähigkeit fasziniert. Joan Baez fühlt mit den „Deportees“ in Woody Guthries gleichnamigen Song, der die Angst und die Demütigung beschreibt, die mexikanische Arbeiter in den USA erfahren. Sie fühlt auch mit ihrem Publikum, das, erwärmt von ihrem Gesang, zu den Zugaben nach vorne drängt und dort auf den Widerstand der Sicherheitskräfte stößt. „Wenn sie kommen wollen“, sagt Joan Baez zum Personal, „und wenn sie sehr vorsichtig sind, dann ist es in Ordnung.“ Wenn sie dann „Sag mir, wo die Blumen sind“ gibt, umlagert, auf Deutsch und sehr berührt, dann kann man in den Augen der gereiften Frau die Verwunderung und die Betroffenheit eines kleinen Mädchens sehen, das sich weigert, zu verstehen, weshalb die Welt ist, wie sie ist.
Wenn Joan Baez singt, Neues von den neuen Songwritern, Altes von den alten, Traditionals, frühes Eigenes und späteres Eigenes, wenn sie ihre Gitarre stimmt, weil, wie sie sagt, das Selberstimmen den Folk vom Rock 'n' Roll unterscheide, dann entsteht vor beinahe dreitausend Zuschauern das rührende Szenario einer Parallelwelt, in der die sechziger Jahre eben nicht jäh endeten mit dem Drogentod von Jimi Hendrix und Janis Joplin. Dass die Übermutter des Folk jene Feierlichkeit mitunter auch ironisch bricht, wenn sie zum „Elvis Presley Blues“ tanzt etwa oder wenn sie zwischendurch bekundet, dass sie müde sei, macht ihr charmant tremolierendes Werben für eine vom Zeitgeist bedrohte Form der Menschlichkeit nur noch sympathischer.
Sie hängt an diesen Liedern, die Auswege beschwören. Aus Dylans „Farewell Angelina“ macht sie, gleich zu Beginn, eine ergreifende Ode an den Neuanfang, Donovans „Donna Donna“ zelebriert sie, kurz vor Schluss, als bewegende Hymne an eine Form von Freiheit, die sich in Zeiten des Alles-Dürfens zuweilen selbst an die Kette legt. Kurz zuvor: Violeta Paras „Gracias a la Vida„, die kritische Variante des Lebensdanks, wie geschaffen für eine Frau, die Weihnachten 1972 in den Luftschutzkellern von Hanoi verbrachte, weil sie der Ansicht war, dass politisches Engagement nicht zwangsläufig zeitgleich mit den sechziger Jahren sterben müsse.
Am Ende eines großen Konzerts kehrt die starke Frau zu jenem Thema zurück, bei dem sie stets nur Begleiterin war und das doch ihr Thema geworden ist: Bob Dylans „Forever young“ gibt die verblüffend jugendliche Erscheinung, ganz alleine, so andächtig, als hoffe sie im Geheimen, er höre zu. „May your heart always be joyful“, singt sie da, betet sie fast, als ein einzelner Mann plötzlich applaudiert. Sie hat ihr Leben lang in dieser Hinsicht getan, was ihr möglich war. Unmögliches darf man auch von ihr nicht verlangen.
Von Michael Werner
© 2004 Stuttgarter Zeitung
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Man braucht nur ein klein bisschen Glück, dann beginnt alles wieder von vorn.