Re: Blumfeld – Verbotene Früchte

#3942097  | PERMALINK

sebsemilia

Registriert seit: 09.07.2002

Beiträge: 2,942

in der jungle world gibt es ein interview mit distelmeyer zu lesen. er kommt auch auf das thema natur und äpfel zu sprechen.

Schon als die »Verbotenen Früchte« rauskamen, waren einige Kritiker eurer Musik der Meinung, ihr hättet den richtigen Moment, von der Bühne zu gehen, verpasst. Sie warfen euch vor, deutsche Naturromantik zu verbreiten. Hast du dich der Faszination an der Natur ergeben?

Ergeben? Wohl kaum. Allerdings sehe ich überhaupt keine Alternative zu der banalen Tatsache, dass die Natur eine fesselnde Wirkung auf uns ausübt. Schließlich sind wir als Menschen Teil von Natur. Ich habe »Verbotene Früchte« immer vor dem Hintergrund gesehen, dass es auf der einen Seite dem Menschen, als dem von Nietzsche so bezeichneten »nicht festgestellten Tier«, schwer fällt, im Einklang mit der natürlichen Unordnung des Planeten zu leben, siehe Klimawandel, Umweltzerstörung, Massentierhaltung.

Auf der anderen Seite gibt es die Neigung, alles Menschenmögliche zu, ich sag mal, naturalisieren.

Konkret bedeutet das also, den Kapitalismus inklusive der Heuschrecken und des Rechts des Stärkeren als unüberwindbaren Naturzustand zu begreifen. Das zeigt sich auch in den derzeitig wieder sehr gängigen Floskeln wie »Der-Mensch-ist-halt-so«, »Männer-sind-halt-so« und »Frauen-sind-Mütter«.

Meiner Ansicht nach scheinen die Menschen diesem auch inneren Widerspruch nicht gewachsen zu sein. Bis jetzt sind sie nur zu einem technokratisch-romantischem Verhältnis zur Natur und dem, was sie Natur nennen, gekommen. Diese Haltung kann man in der Propagierung der Atomkraft als Klimaschutzmaßnahme, dem Genfood und dem Caspar-David-Friedrich-Revival erkennen.

Das ist übrigens auch die Position von Marlon Brando in »Apocalypse Now«, wenn er davon spricht, dass er den Horror gesehen habe. »I’ve seen the Horror! The Horror!« Umgeben von Krieg und Dschungel sitzt er da mit einer klassisch romantischen Erwartung von Sinn und Antwort. Aber die ihn umgebende Natur antwortet nicht. Maximal Blätterrauschen und Vogelgezwitscher. Dieses Schweigen ist der Horror, von dem er spricht.

Auch für viele Linke war eure letzte Platte der Horror. Sie konnten damit nichts anfangen.

Ich vertraue darauf, dass früher oder später, so wie es bei allen unseren Platten immer gewesen ist, die Leute verstehen, was ich meine.

(…)

In dem Song »Ich-Maschine« rettet dich der Apfelbaum vor der Erdanziehung, auf »Old Nobody« erinnert dich der Baum an deine Ängste und Träume, und auf »Verbotene Früchte« sieht der Apfelmann die Apfelbäume und damit seine Arbeit warten. Was hat es mit dem Apfelbaum auf sich?

Hat nicht Luther gesagt: »Und wenn morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen«? Ausgerechnet ein Christ und christlicher Theologe will den Baum pflanzen, den sein Glaube für die Vertreibung aus dem Paradies verantwortlich macht. Abgefahren, oder? Angesichts der Apokalypse bringt er genau das ins Spiel, womit der ganze Wahnsinn losging.

--

Look out kid You're gonna get hit