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Für den Apfelkuchen
Die Band Blumfeld überrascht Fans und Feinde mit Naturlyrik. Auf ihrer neuen Platte »Verbotene Früchte« besingt sie den Mondfisch und das Gnu, den Rhododenron und das Vergissmeinnicht
Von Klaus Walter
Ist er jetzt irre, der Distelmeyer? Wiedergeborener Christ? Oder bloß Vater geworden? Verbotene Früchte heißt biblisch das neue Album seiner Band Blumfeld. 75 Jahre lang war Blumfeld der nur Kafka-Lesern bekannte Titelheld einer Erzählung über einen älteren Junggesellen, seit 1990 verbindet man mit dem Namen die interessanteste Popmusik, die sich der deutschen Sprache bedient. Blumfeld-Alben heißen Ich-Maschine, L’Etat et moi oder Testament der Angst. Und jetzt Verbotene Früchte. Im ersten Lied kreisen Möwen, eine Krähe hackt den Schnee, am Ende lässt Distelmeyer die Raben ziehen. Dazwischen defiliert die komplette Besatzung von Noahs Arche vorüber: Kühe und Schafe, Löwen und Tiger, Qualle, Mondfisch und Gnu dazu. Nicht zu kurz kommt auch die Flora: Rhododendron und Apfelbaum, Goldwolfsmilch und Alpenveilchen, Hyazinthen und Vergissmeinnicht.Rückzug ins Private? Jochen Distelmeyer, Andre Rattay, Lars Precht und Vredeber Albrecht sind Blumfeld (von links)© Dorle Bahlburg BILD
Was also ist los mit Jochen? Viele Leute nehmen es nämlich sehr persönlich, wenn Jochen Distelmeyer eine neue Platte macht. Von Blumfeld erwarten sie mehr als von anderen Bands. Im Vorfeld kursierten Jochen-Gerüchte: Mit Ratzinger habe er sich beschäftigt, religiös sei er geworden. Im Kaffeesatz der Halbwahrheiten wird gelesen, wie einst, wenn Bob Dylan mal wieder die Konfession gewechselt hatte oder vom Motorrad gefallen war. Blumfeld-Platten markieren Wendepunkte im Leben. Millionen von Leuten, die zwischen Hitler-Wahl und Wunder von Bern geboren wurden, sortieren ihr Leben in den sechziger Jahren mit Beatles-Songs: Yesterday – erster Kuss, Norwegian Wood – erster Joint, Happiness Is a Warm Gun – erster Sex. Ein paar Zehntausend besser gebildete Westdeutsche tun das mit Blumfeld. Ihre Platten sind Wegmarken deutscher Biografien seit dem Mauerfall: Mölln & Hoyerswerda, Volontariate & Praktika, Zizek & Derrida, rotgrüner Sieg & rotgrüner Krieg – lässt sich alles erzählen mit Songs wie Superstarfighter, Lass uns nicht von Sex reden, Diktatur der Angepassten. Und jetzt: Kinder kriegen und dem Schnee zugucken? Onkel Distelmeyers Tierleben?
Schon werden die ersten Nachrufe geschrieben, fertige Phrasen gedroschen. »Wo bleibt das Politische?« Weil auf den ersten Blick kein Song wie Diktatur der Angepassten zu entdecken ist, wird der »der Rückzug ins Private« kritisiert. Komischerweise besonders laut aus der feingeistigen Abteilung von Blättern, deren Politik- und Wirtschaftsressorts genau das repräsentieren, was Bands wie Blumfeld seit 15 Jahren bekämpfen. Blumfeld sind nämlich – es muss hier mal in aller uneleganten Klarheit gesagt werden – eine linke Band. Seit Jahren wehren sie sich gegen jede Vereinnahmung für die nationale Sache, gegen die wiederholten Versuche, Blumfeld zum Aushängeschild einer spezifisch deutschen Pop-Coolness zu machen.
Bereits Anfang der Neunziger waren sie dabei, als versprengte Kulturlinke sich zu »Wohlfahrtsausschüssen« zusammentaten. Viele, viele Solokonzerte, Grenzcamps und Wortmeldungen später haben Blumfeld gute Gründe, genervt zu reagieren, wenn ihnen Edelfederchen mangelnde Radikalität vorhalten, weil die Texte nicht explizit genug sind. Explizit wie auf dem vorletzten Album, als ein Gedicht von Rolf-Dieter Brinkmann durch die Distelmeyersche Ich-Aneignungs-Maschine geschleust wurde. Heraus kam Alles macht weiter: »Die Geschichte macht weiter, die herrschende Klasse, der Hass auf die Frauen, die Versklavung der Massen, das Leben nach Vorschrift, die Vernichtung der Vielfalt…«, heißt es da, politisch eindeutig. Aber schon hier, im selben Song, machen auch Flora und Fauna weiter: »Planten un Blomen, Enten und Schwäne, Vögel ziehen übers Meer, und der Wind weht, wohin er will…«
Natur und Politik koexistieren schon länger in Blumfelds Lyrik. Sie sind da im Namen einer höheren Dialektik unterwegs. Zu hoch für die schlichten Antagonismen ihrer Kritiker, denen zu Natur nur Rückzug ins Private einfällt. Distelmeyer verkabelt den hehren Adorno mit dem per Definition antihehren, profanen Pop, beide Lektüren und Erfahrungen sind unhintergehbar im Leben eines bald Vierzigjährigen, der vom linksprotestantischen Millieu einer ostwestfälischen Provinzjugend ebenso geprägt ist wie von der Speed-fiebrigen Dauerdebatte Hamburger Pop- und Politschulen. Derart imprägniert, glotzt man nicht romantisch auf die Natur und vergisst Auschwitz vor lauter Alpenveilchen und Vergissmeinnicht. Vergissmeinnicht und vergiss Auschwitz nicht, das ist der Balance-Akt der Verbotenen Früchte, oder, tiefer gehängt: Blumfeld haben genug politische Claims abgesteckt, um sich verbotenen Früchten zu widmen. Romantik, Naturbetrachtung, Fabulieren, komische Instrumente ausprobieren, ein Spinett, eine Sitar, Ornament muss kein Verbrechen sein. Sogar davon, »ohne Vorbildung an Liedtraditionen von Schubert und Schumann anzudocken«, ist bei Jochen neuerdings die Rede. Den Reichtum der Erfahrungen als Reichtum begreifen, ohne alle drei Minuten politische Wasserstandsmeldungen durchgeben zu müssen. Beim Fußball hieß das mal: über den Kampf zum Spiel finden.
Wie die Worte fließen bei den verbotenen Früchten! »Jonagored, Novajo / Elstar, Karmijn, Rubi / Winterprinz, Ontario / Gravensteiner, Fuji / Berlepsch, Melrose, Ida Red…«Das könnten schicke Bandnamen sein (Ida Red ist ein Bandname!), in Distelmeyers Mund geraten sie zum poetischen Rap. Allein, es geht um Apfelsorten: »…kannst du mal versuchen / Und Geheimrat Oldenburg / Für den Apfelkuchen«, empfiehlt Blumfelds Apfelmann. Wer sich daran nicht freuen kann, dem wurde als Kind kein Apfelkuchen gebacken. Und nur wer als Kind keine Kunstwörter und Fantasiesprachen erfand, wird sich dem Strobohobo verweigern. In sechs Minuten singt Distelmeyer 244-mal den Urvokal O. Nicht mitgezählt das inkorrekt gesungene o in von Gogh. Gedruckt geht das nämlich so: »Von seinem Poster grinst van Gogh / Bis über beide Ohren.« Hatte er da noch beide Ohren? Nörgler werden Strobohobo als Kunsthandwerk abtun. Klar demonstriert Distelmeyer seine Wortgewalt, aber vor lauter O kommt die Story nicht unter die Räder. Große, auch alberne Songs, wie überhaupt eines maßlos unterschätzt wird bei Blumfelds heiligem Ernst: ihr Humor. Aber auch der Humor eines Leonard Cohen und eines Bob Dylan ist ja bis heute nicht angekommen in diesem Land, ob ihrer poetisch-erhabenen Tiefe.
Wie Joni Mitchell haben Cohen und Dylan den Songschreiber Distelmeyer begleitet auf dem langen Weg von der Hamburger Post-Hardcore-Härte zum lichten Klang von heute, den sich viele mit dem Kampfbegriff Schlager vom Leib halten. Dabei bieten Blumfeld offene Peinlichkeitsflanken, schon immer und mit den Jahren immer mehr. Je nach Tagesform kann einem der ganze Naturkram schon gehörig auf die Nerven gehen. Was aber nichts daran ändert, dass es sich hier um tolle Liedkunst handelt. Das muss auch zugeben, wer keinen Jambus vom Blankvers unterscheiden kann und einen trochäischen Sechsheber nicht erkennt, wenn er ihm über den Weg läuft. Also alle.
Im Übrigen ist Verbotene Früchte natürlich die Platte eines frisch gebackenen Vaters. Neben dem Raunen um die neue Religiosität sickerte im Vorfeld auch die Nachricht von einem neuen kleinen Distelmeyer in die Blumfeld-Gemeinde. Mit diesem Wissen hört man eine ganz andere Platte. Am Ende möchte man den kleinen Kerl beneiden um die entzückenden Märchen und Fabeln, die ihm sein Papa da vorsingt. Selbstverständlich weist Jochen Distelmeyer diese Deutung zurück. Die monokausale Verknüpfung von Leben und Werk verkommt zwangsläufig zur Promo-Homestory mit Babyfotos, auch wenn es keine Fotos gibt. Nein, darüber möchte er nicht reden, und überhaupt waren die Songs ja schon vorher fertig.
Was nichts daran ändert, dass Kleines Lied das schönste Schlaflied ist, das man sich wünschen kann. Fast so schön wie das Abendlied aus dem Testament der Angst: »Kleines Lied / Es kommt zu mir / Kommt und will mich tragen / Flüstert leise:/ Nimm es nicht so schwer.« Aber das, lieber Leser, muss man hören, denn er ist ein Sänger, der Jochen.
DIE ZEIT 20.04.2006 Nr.17
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... hat 'ne schlechte Stimme, musikalisch kommt nix rüber und lachen konnte ich auch nicht. (geCLAUt) [/i]