Re: Rezeptionsverhalten und -möglichkeiten in den 1960er und frühen 70er Jahren

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bender-rodriguez

Registriert seit: 07.09.2005

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Da’s im Moment wirklich nichts, aber auch gar nichts ansonsten richtig Interessantes in den mannigfaltigen Threads hier für mich zu geben scheint (wer ist in den Bands/Solokünstlern-Threads gerade/immer noch on top? Dylan? Rolling Stones? Paul Weller? NIN? – die ewig durchgekauten Dauerbrenner…) und dieses Thema hier wirklich sehr aufschlussreich, interessant und unterhaltsam ist (wie’s nach Auffassung gewisser Herrschaften hier ausschliesslich gute Sitte sein soll…:lol: ) – und ich gerade mal ein bisserl Zeit habe, klinke ich mich hier an dieser Stelle mal mit ein.

Da ich im Vergleich zu anderen Mitpostern hier in diesem Thread ein (ich zitiere) „Baby“ bin :-) kann ich nur berichten, daß Musik erst seit ca. Mitte/Ende der Siebziger für mich eine grössere Rolle spielt. Natürlich ist für die musikalische Sozialisation immer auch ein gewisses Umfeld mit verantwortlich. Seien dies Freundschaften, Eltern, Geschwister oder das soziale Umfeld, bzw. der „Zeitgeist“. Mein Elternhaus ist ein sehr unmusikalisches, ältere Geschwister habe ich keine und meine damaligen Freunde hörten schon sehr viel früher als ich Pop-/Rockmusik. Diese war allerdings von der Sorte, die mich extrem wenig berührte: ABBA, Smokie, Barclay James Harvest, Queen, Status Quo, E.L.O. und diese ganze Schiene halt. Natürlich nahm ich den einen oder anderen damaligen „Hit“ der üblichen Verdächtigen per Radiocassettenrecorder aus der „hr3-Hitparade“ auf, jedoch nur deshalb, damit irgendwas in meinem Teenagerzimmer dudelt, was ja irgendwie zu einem Teenagerzimmer dazugehört…

Natürlich las man auch sowas wie die „Bravo“, ich allerdings nur halbherzig – und Poster und Starschnitte hängte ich nie auf, ich fand die Optik der damaligen Pop/Rockstars irgendwie krätzig und schämte mich irgendwie, solche Leute dem Blick meiner Eltern auszusetzen…

Kurz, die (angeblich) „wichtigsten“ und aufsehenerregensten Musikströmungen der ausgehenden Siebziger, Disco und Punk gingen an mir relativ spurlos vorüber, zum einen mangels Interesse (Disco) und zum anderen (Punk) (leider) deswegen, weil ich für „richtigen“ Rabatz doch noch zu jung war!

Eine meiner ersten wirklich nennenswerten „Aha“-Effekte in Punkto Musik waren Kraftwerk („Autobahn“ lief irgendwann mal als Pausenfüller im Fernsehen – ich war total begeistert), Bowie und übrigens auch Genesis‘ „Selling England by the pound“. Dabei konnte ich relativ früh feststellen, daß ich im Prinzip ein „Soundmensch“ bin, der sich zwar auch für textliche Inhalte interessiert, allerdings eher an andersartigen/ausgefallenen Klängen seine Freude findet. Denn, was soll die schönste, poetischste und wahrste Aussage, wenn sie nur ein alter Zausel mit Akustikklampfe und krächziger Stimme vorträgt? So dachte ich damals – und heute auch noch mit Abstrichen, allerdings ist da schon was Wahres dran. Der Pop-/Rockkonsument hat nämlich von Zeit zu Zeit soundmässige Extensionen mehr als verdient – für sein Geld, das er ausgibt…

Nach einer kurzen Begeisterung für Progrock war es von daher logischerweise nur noch ein kleiner Schritt hin zu dem, was nach Punk kam: New Wave, bzw. Synthpop war dann meine Heimat. Dort fühlte ich mich zu Hause und irgendwie verstanden.
Diese Bands, dieses Auftreten, die Inhalte, alles irgendwie geradezu zugeschnitten für einen männlichen Mittelklasse-Jugendlichen, für den der pure Proll-Strassenkrawall des Punk doch nichts richtiges war – oder der Discopomp der Travoltageneration einfach irgendwie zu profan.

So kam eines zum anderen, aufgrund meiner Neugier an neuartigen Sounds wagte ich mich tief in den Underground jeglicher elektronischen/avantgardistischen (Pop-)Musik, manches blieb bis heute eines meiner Favoriten, manches verwehte der Lauf der Zeit, manches ging bei mir gar nicht (z.B. HipHop), allerdings habe ich mittlerweile entgegen meiner damaligen Abneigung gegenüber „Disco“ einen moderaten Weg hin zu clubtauglicher Musik gefunden, nicht nur via New Order, E.B.M., gutem Techno (Aphex Twin, z.B.), sondern auch durch einen von mir damals geschmähten Klassiker der Siebziger: dem Sequenzer-Lehrstück „I Feel Love“ von Donna Summer…:lol:

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I mean, being a robot's great - but we don't have emotions and sometimes that makes me very sad