Re: Rezeptionsverhalten und -möglichkeiten in den 1960er und frühen 70er Jahren

Startseite Foren Kulturgut Das musikalische Philosophicum Rezeptionsverhalten und -möglichkeiten in den 1960er und frühen 70er Jahren Re: Rezeptionsverhalten und -möglichkeiten in den 1960er und frühen 70er Jahren

#3939967  | PERMALINK

k-a-lauer

Registriert seit: 05.10.2005

Beiträge: 1,023

Es ist schon komisch, wenn man sich angeregt durch das Thema, in die tiefsten Tiefen seiner Vita begibt und feststellt, dass es eigentlich gar nicht möglich ist die Anfänge des musikalischen Erlebens richtig fest zu machen. Im Gegenteil. Ich stelle immer wieder fest, dass sich in meinem Kopf Musikstile und Lieder eingebrannt haben, die eigentlich nicht mein Ding und absolut different zu dem sind, was ich höre. Das hat bei mir sicher mit zwei Dingen zu tun: a) mit dem Alter meiner Eltern (waren Anfang der 60er schon um die 50), b) mit der damaligen Rundfunklandschaft (es gab nur wenige Sender und dort fand überwiegend nur Schlager statt). Bezeichnenderweise hieß die erste Sendung, an die ich mich bewusst erinnern kann „Schlagerskala“ im SDR. Und da war der Name anfangs Programm. Erst im Laufe der Zeit schlichen sich dort, teils widerwillig vom Moderator kommentiert, verschämt die Beatles, Hollies und etwas später auch die Stones ein. Und ich denke das war die Initialzündung für mich. Meine Eltern sprachen dann eher von Katzenmusik.

Irgendwann in den frühen 60ern kam dann, animiert durch meine älteren Brüder, abends „Colourful Radio Luxembourg“ aus London W 1 und „AFN“ dazu. Dort hörte ich Sachen, die entweder erst Monate später bei uns zu hören waren oder auch nie.

Jugendsendungen waren rar im SDR. Ich erinnere mich noch an die „Mittwochsparty“ mittwochnachmittags, ich glaube 2 Stunden. Da konnten Schulklassen etc. ihre eigene Musik zusammenstellen und die ganze Party wurde dann, glaube ich, live gesendet.

Das ganze wurde dann allmählich besser, auch durch die Einführung zweiter und dritter Radioprogramme. Und da kam dann Ende der 60er bis Mitte der 70er richtig Bewegung in die Sache. Sendungen wie Club 19, Point, Pop am Morgen waren richtig gut. Damals hatten die Musikredakteure wohl noch freiere Hand bei der Musikauswahl. Z.B als „Thick As A Brick“ neu rauskam, wurde die doch tatsächlich in voller Länge vorgestellt. Heute undenkbar. Im Übrigen wurde da auch noch richtig guter Journalismus praktiziert (Hendrik Bussiek/Günter Verdin) und die Moderatoren hielten auch mit ihrer eigenen Meinung nicht hinterm Berg und bekamen natürlich auch Probleme. In dieser Zeit erhielt ich wohl auch wesentlichste Prägung meines Geschmacks in Richtung Folk, Blues und Rock und jegliche Kombination aus diesen drei. Am besten wohl vereint bei Jethro Tull.

Zu meiner Enttäuschung flachte das Radio musikmäßig dann aber ziemlich rapide ab. So in etwa ab Philly-/Discosound. Seither wird eigentlich nur noch gespielt, was massentauglich ist.

Musik im TV. Erster Fernseher im Haushalt 1966 zur WM. Natürlich Beat Club. Am Anfang. Natürlich auch mit dem Grundig Doppelspur Tonbandgerät meines Bruders mit Micro aufgenommen. Aber auch bei dieser Kultsendung ließ sich irgendwann über die Richtung streiten. Disco? Wenn überhaupt, dann nur größtenteils unter Schmerzen. War mir zu flach.

Insofern wurde der Einfluss der Medien zum Kauf einer Platte eigentlich geringer, trotz Permanentbeschallung. Eher durch Tipps aus dem Bekannten- und Freundeskreis. Und eine Zeitlang speziell durch die damals beste Disco in Stuttgart, das Conny-Tanzcasino mit DJ Lupus. Zwar ein total versiffter Laden. Du kamst keine zwei Meter weit ohne gefragt zu werden: „Haste Shit?“ oder „Willste Shit?“. Aber die Musik war absolut der Hammer. Haben auch ab und zu ziemlich renommierte Bands dort gespielt.

Meine erste selbst gekaufte Single war übrigens „Bend it“ von Dave Dee, Dozy, Bicky, Mick and Tich. Ein Gutschein über 5 DM beim Wichteln in der Schule verhalf mir dazu. Das erste selbstgekaufte Album war Weihnachten 1968 das weiße Album der Beatles von meinem ersten Lehrlingsweihnachtsgeld (123,98 DM). Musste aber noch meinen älteren Bruder dazu überreden, die Hälfte beizusteuern. Das Teil kostete so um die 25,00 DM. Und ab da kaufte ich nie wieder Singles.

So, war ziemlich lang. Gesagt ist aber sicher noch nicht alles. Vorläufig aber: Ich habe fertig.

PS: Zu meiner Anfangsaussage. Es passiert mir manchmal, dass ich völlig ohne Anlass irgend einen Marsch wie Preußens Gloria oder Fehrbelliner Reitermarsch oder einen Schlager von Bibi Johns oder Valente oder Alexander vor mich hinpfeife, obwohl ich auf die Sachen eigentlich nicht stehe und sie schon seit mindesten 36 Jahren nicht mehr gehört habe. Verrückt, oder?

--

Vinyl ist, wenn man trotzdem lacht.