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Hier ein Spiegel-Online Bericht zum Thema:
Rock und Blut
Von Jörg Böckem, Christoph Dallach und Moritz von Uslar
Mit Pete Dohertys öffentlichen Drogenexzessen und den Abstürzen von Whitney Houston und George Michael ist das Rock-Geschäft in eine neue Phase getreten: Der Selbstmord auf Raten ist die Show.
Der Mann, den die Presse das „Monster“ nennt, steht auf der Bühne des Hamburger Kiez-Clubs Grünspan. Gefährlich sieht er nicht aus, im Gegen-teil. Der schlaksige Junge mit dem bleichen Kindergesicht trägt eine riesige Schiebermütze auf dem Kopf und ein gestreiftes Matrosen-T-Shirt über der dürren Brust.
Er lächelt, tanzt über die Bühne und wirft sich in die Arme des jubelnden Publikums. Vor der Bühne aufgekratzte Jungs und Mädchen, die schwitzen, schreien – rund 80 spektakuläre Rock’n’Roll-Minuten, wie sie heute selten sind. Das ist nicht die Show, mit der auch nur einer der zahlreich anwesenden Journalisten gerechnet hat.
Wenn über Pete Doherty, den Sänger und Songschreiber der britischen Band Babyshambles, berichtet wird, geht es nur noch am Rande um Musik. Der Mann gilt Fachleuten zwar als eines der größten Talente der Insel, für Aufsehen sorgt aber vor allem sein Lebensstil: Er saß wegen Einbruchs bei seinem besten Freund im Gefängnis, er wurde mit gestohlenem Auto erwischt und in den vergangenen Jahren immer wieder wegen Drogenbesitz verhaftet.
Pete Doherty, der 27-jährige Amokläufer aus England, ist zurzeit der wilde, böse Junge des Rock’n’Roll. Und seit seiner Liaison mit dem Supermodel Kate Moss, der Schönen, ist er das Monster. Was immer er anstellt, egal ob er Reporter attackiert, auf die Bühne kotzt oder einfach nur Milch kauft, jede Lokalzeitung von Bristol bis Buxtehude berichtet darüber.
Pete Doherty malt Bilder mit Blut. Pete Doherty sticht einer besinnungslosen Ex-Klosterschülerin eine Spritze in die Venen. Sein Handy mit gesammelten intimen SMS-Botschaften seiner Immer-mal-wieder-Freundin Kate Moss, so heißt es, hat er verkauft. Doherty brauchte Geld für Drogen. Ein Implantat in seinem Körper soll seinen Drogenhunger zügeln. Es versagt. All das ist eine Schlagzeile wert.
Noch nie hat die Öffentlichkeit die Selbstzerstörung eines Popstars so lustvoll goutiert.
Für die einen lebt er all das aus, von dem sie insgeheim träumen, für die anderen ist er das Feindbild, dessen Untergang und Scheitern sie voller Schadenfreude beobachten. Ein Lottogewinn für die Presse, nicht nur auf der Insel.
Als vorvergangene Woche Auftritte der Babyshambles in drei deutschen Städten anberaumt waren, setzte ein beispielloser medialer Countdown ein: Kommt er? Kommt er nicht? Und wenn ja, in welchem Zustand?
Fest steht, am Freitag vorvergangener Woche rechnet in Hamburg kaum jemand damit, dass er seinen Auftritt im ausverkauften Grünspan wie geplant über die Bühne bringen wird. Gegen 21 Uhr soll es losgehen, schon Stunden zuvor herrscht vor der Eingangstür Alarmstufe Rot. Ein Tourbus mit abgedunkelten Fenstern parkt davor auf der schmalen Straße, umlagert von aufgekratzten Mädchen und Jungs, dazwischen hektische Boulevardjournalisten.
Eine Stunde vor Konzertbeginn weiß noch niemand, ob mit Doherty an diesem Abend zu rechnen ist. Zwei Nächte zuvor, zum Tourneestart in Köln, war der Abend schlecht ausgegangen. Die Band war zwar pünktlich zur Stelle, nur Pete Doherty war zum geplanten Beginn immer noch am Flughafen in London, doch niemand randalierte. Die Fans wussten, worauf sie sich eingelassen hatten. Das Risiko erhöht den Reiz. Oder, wie Geoff Travis, Chef von Dohertys Plattenfirma Rough Trade, es formuliert: „Unsicherheit ist die Währung der Kunst.“
Das nächste Konzert in Berlin fand immerhin statt. Gegen ein Uhr wankte Doherty auf die Bühne des Columbiaclubs, lärmte zwei Stunden mit den Babyshambles und verschenkte Mütze und Sonnenbrille an Fans. Zum geplanten Interview mit dem Musiksender MTV reichte es dann nicht mehr. Statt lästige Fragen zu beantworten, nahm er eine Spritze und jagte eine Ladung Blut in Richtung Kamera. Was ihm noch zuverlässiger die Aufmerksamkeit der Medien sicherte.
In Hamburg wird er seinem Mythos als Rockstar auch nach dem Konzert gerecht. Noch Stunden nach Ende der Show ist der Tourbus der Babyshambles von überwiegend weiblichen Fans umzingelt. Euphorisierte Teenager mit leuchtenden Gesichtern, die hektisch mit ihren Handys den Bus fotografieren und auf den Star lauern. Und tatsächlich – irgendwann öffnet sich die Tür, und ein Mitarbeiter der Band lässt die Hübschen und Abenteuerlustigen zu zweit und dritt in den Bus einsteigen. Einige versuchen, ihre Chancen zu erhöhen, indem sie ihre Blusen weit aufknöpfen und die Büstenhalter darunter ausziehen. „Groupies“ nennt die Hamburger Boulevardpresse diese Mädchen am nächsten Tag.
Einige verlassen den Bus schnell wieder. „Ich wollte ihm doch nur einen Kuss geben, nicht seine Eier lecken“, sagt eine sichtlich irritierte Verehrerin.
In den frühen Morgenstunden schließlich wandert Doherty über die Hamburger Reeperbahn, flankiert von Fotografen und Reportern. Die Zeitungen am nächsten Morgen zeigen Bilder von ihm im Sexshop und an der Currywurstbude.
Tags darauf wieder in Köln, wo das ausgefallene Konzert nachgeholt werden soll, liefert Doherty dann echtes Schlagzeilenfutter: In einem Second-Hand-Laden probiert er Kleidung an, an der Kasse kann er nicht zahlen, er schnorrt Geld. Alles dokumentiert von den Kameras.
Ein anderes Bild vom gleichen Tag bringt ihm ein Ermittlungsverfahren der Kölner Staatsanwaltschaft ein. Das Foto zeigt den Musiker im Auto, im Mund eine zur vermeintlichen Crackpfeife umfunktionierte Glasflasche. Auch in England droht ihm mal wieder Ärger mit der Justiz: Am Tag des Hamburger Konzerts hätte er laut Bewährungsauflagen vor einem Londoner Gericht erscheinen müssen.
Pete Doherty mag sich aufführen wie ein Irrer, dumm ist er nicht. Der Sohn eines britischen Armeeoffiziers wurde als 16-Jähriger vom British Council nach Russland geschickt, um seine Gedichte vorzutragen. Er verehrt Jean Genet, Charles Baudelaire und den Dichter und Maler William Blake. Einen angebotenen Studienplatz tritt er nicht an.
Ende der neunziger Jahre lernt er Carl Barât kennen und gründet mit ihm die Band The Libertines. Sie tragen bunte Uniformjacken, beschwören alte britische Poeten und Träume eines versunkenen Englands und spielen zackigen Rock’n’Roll in der Tradition von The Kinks, The Who und The Clash. Dafür werden sie in England von Beginn an frenetisch bejubelt.
Und ganz gleich, was Doherty im Drogenrausch noch alles anstellt und ob dabei sogar noch ein brauchbarer Song herauskommt, er kann sich – in aller Naivität oder Berechnung – auf eine lange Tradition und einen reichen Schatz von Bildern und Anekdoten berufen: Popmusik ist Drogenmusik, sie war es von Anfang an, schon Mitte der vierziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, als der Junkie Charlie Parker einen neuen Sound namens Bebop aus seinem Saxofon hervorzauberte.
Seither, so scheint es, ist im Pop nicht ein einziger neuer Beat und nicht eine neue Bewegung, geschweige denn eine der zahlreichen Poprevolutionen entstanden, die nicht maßgeblich von Drogen entfesselt, befeuert, vorangetrieben wurden. Rock’n’Roll, die britische Beat-Revolution, Soul, Disco, Punk, die Techno- und House-Bewegung der neunziger Jahre: Pop war drogenvernebelt, vom ersten Ton an.
Schon der Hillbilly der fünfziger Jahre kam nicht ohne Aufputschtabletten aus, die Beatles stolperten zugedröhnt auf die Bretter des Hamburger Star-Clubs, und mit dem Popjahr 1967 hatten die Euphorie und der Glaube, dass Drogen ein Nirwana aus endloser Kreativität und Glückseligkeit versprechen, ihren Höhepunkt erreicht. Zeit der lustigen Verhaftungen, bei denen Mick Jagger oder Donovan, wegen Cannabisbesitz festgenommen, in Handschellen winkten.
Heroin nimmt einer wie Pete Doherty am liebsten dann, wenn Journalisten zugucken.
Velvet Undergrounds „Heroin“ brachte den düsteren Wendepunkt. Der Song vertonte beides, das kurze Glück und die lange Abhängigkeit und Depression. Mit Brian Jones (1969), Jimi Hendrix, Janis Joplin und dem Doors-Sänger Jim Morrison starben Anfang der siebziger Jahre die ersten, bis heute klassischen Drogenhelden des Pop.
Iggy Pop tat den nächsten Schritt und feierte die Selbstzerstörung und einen wüsten Exhibitionismus, ein Rollenbild, das mit Sid Vicious 1979 den ersten prominenten Drogentoten des Punk und mit dem Nirvana-Sänger Kurt Cobain 1994 das vorerst letzte Opfer forderte. Was Keith Richards betrifft, den großen Überlebenden der Popgeschichte, ist dagegen bis heute nicht klar, ob ihn Heroin und sein seit 40 Jahren gepflegter Bourbonkonsum oder doch eine Kokosnusspalme besiegen wird.
Die umfangreichen Drogenbeichten von Pete Townshend, Eric Clapton, Boy George, Elton John und zuletzt Robbie Williams haben bewirkt, dass es Popstars mittlerweile freisteht, wie öffentlich sie ihre Sucht leben wollen – es ist eine trügerische Freiheit: Eine zunehmend abgeklärte, vom Fernsehen und der Boulevardpresse infiltrierte Öffentlichkeit sortiert die Süchtigen des Pop in Kartons von „tragisch“ bis „selbst schuld“ oder „geisteskrank“ ein.
Auf das Spiel mit den Medien hat sich einer wie Doherty jedenfalls von Anfang an bewusst eingelassen. Er gehört zu einer neuen Generation von Popstars, die eine Art Symbiose mit den Kameras und Mikrofonen der Reporter eingehen und versuchen, ihren Vorteil daraus zu schlagen. Die nicht Opfer der Medien sein wollen, sondern deren Regisseure. Schon zu Beginn seiner Karriere hat Pete Doherty Interviews und Fotos an englische Zeitungen verkauft, wenn er Geld für Drogen brauchte. Eine Idee, die Keith Richards, John Lennon oder Eric Clapton wohl nie in den Sinn gekommen ist.
Doherty hat seinen Drogenkonsum instrumentalisiert; in seinen Texten und Interviews thematisiert er den Drogenrausch, nimmt sogar Crack und Heroin im Beisein von Journalisten. Wozu auch ein Geheimnis daraus machen?
Seinem Mythos als Rockstar schadet es nicht, im Gegenteil.
Die britische Tageszeitung „The Guardian“ bezeichnet ihn als eine Kreuzung zwischen Sid Vicious und Oscar Wilde und druckt sein Knasttagebuch (mit dem Hinweis, dass der Musiker kein Geld dafür erhalten hat und das Honorar einer gemeinnützigen Organisation gespendet wurde), die Musikpresse preist ihn als „den letzten Romantiker des Rock’n’Roll“ oder wahlweise eine Britpop-Ausgabe von Charles Baudelaire. Die jungen Leser des britischen Fachblatts „New Musical Express“ kürten ihn kürzlich sogar zum „sexiest man“ und zu dem „zweitwichtigsten Rockmusiker“ aller Zeiten – direkt nach Kurt Cobain, dem prominentesten Selbstzerstörer der jungen Generation.
Neu an Doherty ist, dass er seine Drogensucht so öffentlich macht wie seine Songs. Das doppelbödige Spiel des Suchtkranken, in ständigem Wechsel aus Scham, Vertuschung, Schwüren und verzweifeltem Genuss – er hat es nie mitgemacht. Er ist süchtig. Punkt.
Das Spiel mit den Medien wird komplizierter, als Doherty Kate Moss an ihrem 31. Geburtstag kennenlernt. Die Sitten sind verludert, und Denunziation ist das Geschäft der Stunde. Dank Fotohandy wird heute jeder Passant oder Zechkumpan zum Paparazzo, für dessen Bilder und Videos die Yellow Press große Summen zahlt. Was keine Abnehmer findet, landet im Internet.
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