Re: Musikalische Plagiate

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reino

Registriert seit: 20.06.2008

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Ford PrefectDenke mal, ob jetzt ein Plagiat vorliegt oder nicht, muss immer im Einzelfall ein Sachverständiger (studierter Musiker, etc.) klären. Ist also von Fall zu Fall neu zu definieren.

„Plagiat“ unterstellt ja auch, daß der Imitator das Original schon mal gehört hat. Das ist schon mal nicht immer nachzuweisen. Und zweitens ist es kein Plagiat, wenn die Melodie gemeinfrei ist, der Komponist also länger als 70 Jahre tot ist (Jethro Tull und Procol Harum haben Bach ja auch nicht als Co-Autor angegeben). In einem Prozess kann der Beschuldigte, wenn er einen Experten zur Seite hat, auch in vielen Fällen nachweisen, daß die Melodie als 2. Oboenstimme bei Vivaldi oder Waldhornpart bei Beethoven schon mal vorkam.

SokratesWie schon so mancher Prozess zu Tage gefördert hat, so Harrison vs. Chiffons („My Sweet Lord”), war den Plagianten oft gar nicht bewusst, dass sie plagiierten.

Man kann sich angesichts hunderttausender existierender Songs leicht vorstellen, dass aus den Tiefen des Unterbewusstseins etwas aufsteigt, dass einem Musiker selbst geschaffen vorkam, er aber schon irgendwann mal vorher gehört und memoriert hat. Das zeigte zuletzte ja auch die Posse um Gary Moores „Still Got the Blues“ (vs. „Nordrach”).

Gerade dieser Fall ist dafür ein schlechtes Beispiel. Daß Moore „Nordrach“ je gehört (und dann 14 Jahre später plagiiert) hat, ist ziemlich unwahrscheinlich. Das Lied ist schlicht viel zu unbekannt.
Andererseits passiert sicher jedem Komponisten, daß er Melodien verwendet, und gar nicht merkt, daß er die schon mal gehört hat. Mir ist mal erst nach zwanzig Jahren aufgefallen, daß ich eine Lied-Passage von Hanns Eisler („Der Graben“) verwendet hatte.

SokratesEin neuer, jetzt gerichtlich entschiedener Fall: Down Under/Men at Work.

SokratesEs ist die Passage mit den Flöten. Ich find’s auf Anhieb auch schwer zu verorten, aber nach ein paar Wiederholungen lässt es sich nicht leugnen.

Das Urteil fällt der Richter nicht nach bloßem Hören (i.S. eines persönlichen Augenscheins), sondern jeder Anwalt der streitenden Parteien legt Gutachten resp. Gegengutachten vor. Da notieren Musik-Experten Ton für Ton aus und vergleichen die Tonfolgen. M.a.W. das ist dann in der Sache unstrittig; die nächste Frage ist, wie man den Anteil der Flötenmelodie am Erfolg des Songs und damit die Höhe des Tantiemenanteils bewerten will.

Pech für Men at Work ist zudem, daß Marion Sinclair 92 Jahre alt wurde, da verfällt das Urheberrecht erst 2058.
Was man aber beachten sollte: Hätte MaW die Melodie exakt übernommen, wäre „Down Under“ kein Welthit geworden. Interessant sind ja gerade die kleinen Abweichungen, die die ansonsten schrecklich banale Melodie hörenswert machen. Daß da Anwälte 60% der Tantiemen gefordert haben, ist schon ziemlich dreist.

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