Re: Musikalische Plagiate

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#3902005  | PERMALINK

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CanzioneWas Suzanne Vega hier schreibt, ist nicht nur ein Päan auf einen Schriftsteller (Songwriter); es ist auch eine Definition des Begriffs Cut-up*. So besehen ist die nächste Parallele zu Dylan Burroughs.

* „Das ist nicht Schreiben, das ist Klempnerei“ (Samuel Beckett über Burroughs´ Cut-up-Experimente)

In seinen „Chronicles“ gibt Dylan ja sehr freimütige* und faszinierende Einblicke in seine Schreibwerkstatt. Er schildert an einer Stelle, wie er sich geradezu obsessiv mit den Texten des Blues-Mannes Robert Johnson befasst hat – er habe sich diese Texte aufgeschrieben, die einzelnen Zeilen ausgeschnitten und dann neu angeordnet, kombiniert, quasi Puzzle damit gespielt.

Tatsächlich kann man vor allem bei Dylans späten Texten mitunter an Cut-up denken: Verschiedenste Fragmente werden da in einen neuen Zusammenhang gebracht, der nicht unseren üblichen Kriterien von gedanklichen, chronologischen oder narrativen Abfolge-Logiken gehorcht und dadurch die Frage provoziert: Gibt es da überhaupt noch sowas wie eine „Logik“?

Es geht mir bei Dylans späten Texten des öfteren so, dass ich ihren „Sinn“ nicht wirklich ergründen kann, es fiele mir schwer, für manche Lieder eine „Überschrift“ zu finden, einen „Leitgedanken“ zu formulieren, eine „Inhaltsangabe“ zu schreiben. Ich akzeptiere es deshalb durchaus, wenn jemand sagt: „Das ist doch letztlich nur wirr montiertes Zeug“ (also das, was Beckett „Klempnerei“ nennt).

Mir selbst geht es dabei aber nun mal anders: Ich empfinde diese Zerschossenheit nicht als willkürlich oder ärgerlich, sondern als inspirierend und herausfordernd – und es gibt immer wieder einzelne Zeilen, die mich dermaßen treffen und mir dermaßen schlüssig und auf den Punkt perfekt erscheinen, dass davon das ganze Textgebilde angesteckt und für mich spannend wird.

Und ein ganz subjektiver Aspekt kommt hinzu: Der Künstler Dylan genießt bei mir einfach einen immensen Vertrauensvorschuss. Deshalb lasse ich mich darauf ein. Weder kann ich von jedem anderen Menschen diese selbe Rezeptions-Haltung einfordern (weshalb ich es vollkommen respektiere, wenn viele Leute mit Dylan nichts anfangen können oder wollen), noch schaffe ich es, jedem anderen herausfordernden und von der Norm abweichenden Künstler diese selbe intensive Bereitschaft zur Auseinandersetzung entgegenzubringen (weshalb ich hier volle Kante im Glashaus sitze – mit Björk und Stockhausen habe ich mich zum Beispiel nie gründlich befasst, obwohl ich ahne, dass es sich lohnen könnte).

*Wobei wir nicht wissen, wie freimütig er wirklich ist. Vielleicht ist das auch gelogen oder eine nachträgliche Stilisierung der eigenen Methode. Dylan ist ja nicht nur ein großartiger „Dieb“, sondern auch ein begabter „Lügner“, ein Mythenbildner in eigener Sache.

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Sorry an den Rest der Gesellschaft, falls all dies unter der Überschrift „Plagiate“ zu sehr off-topic geworden sein sollte. Gegen eine Verschiebung in einen eigenen Thread („Dylan, der Dieb“ oder so) hätte ich nichts einzuwenden.

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