Re: Madonna – Confessions on a Dance Floor

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matis

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Marek Lantz in der jungen Welt:

Rockt, pumpt, schwelgt

Kommt alle her und tanzt mit mir: Madonna macht Geständnisse auf der Tanzfläche

Was soll denn das? Geständnisse auf dem Dancefloor? Probleme haben nichts auf einer Party verloren, war die Maxime der technogeprägten Neunziger. Man wollte das leidige eigene Selbst abbauen, indem man aufhörte, sich permanent (via Geständnissen) selbst zu erklären. Nachzulesen bei Michel Foucault, damals massenhaft praktiziert unter Tabletteneinfluß und bei monotoner Maschinenmusik. Bis heute übrigens die letzte große kollektivistische Vision (oder Lüge, je nach Gusto) der Popmusik. Inzwischen wirkt sie längst abwegig. Und nun das: »Ich bin traurig«, sagt Madonna Louise Ciccone auf ihrem neuen Album »Confessions on a Dancefloor«. Doch dazu hat die letzte globale Popikone überhaupt keinen Grund. Madonna macht zwei Jahre nach »American Life« wieder alles richtig. Damals posierte sie als Che Guevara, gerierte sich als Anti-Bush-Engagierte und lieferte ein zwar etwas geschmäcklerisches, aber gutes Album ab. Jetzt ist die auf knarzigem Electrosound, Minimalrhythmen und kritischer Attitüde beruhende Distinktionsphase vorüber.

Während Madonna mit »American Life« Genre zu werden drohte, öffnet sie nun die Arme wieder ganz weit: Kommt alle her und tanzt mit mir. Keine andere Musik wollte auf dem fortschreitend segmentierten Popmarkt zuletzt derart viele Menschen erreichen wie nun ihre neue Platte. Erstes Signal in diese Richtung war bereits die Vorab-Single »Hung up«. Mit Abba sampelt der Song wegweisend jene Band, deren Popsprache nach wie vor unerreicht in ihrer Universalität ist. Und der basale popmusikalische Code beruht für Madonna – quasi antizyklisch entgegen dominierender HipHop- und R’n’B-Muster – auf der geraden Bassdrum. Daß Techno alle künftige Musik revolutionieren würde, diese Position hörte man in den Neunzigern oft. Zuletzt sprachen davon und dafür nur noch wenige. Der Wille zur Betonung der Unterschiede – ob kulturelle, sexuelle, ethische, ethnische, politische oder whatever – schien zu mächtig. Das Ich, das sich selbst besingt und damit inszeniert, läßt sich eben in formalisierten HipHop- oder R’n’B-Sprachen schärfer akzentuieren. Techno- und Electropop waren dagegen jenseits spezialisierter Genre-Enklaven zuletzt fast verpönt. Jedenfalls vor »Confessions on a Dancefloor«.

Seine absolute Perfektion und die totale Unentrinnbarkeit der Songs sind gleichzeitig größte Stärke wie einzige Angriffsfläche dieses Albums. Der Jahrhundert-Stomper »I love New York«, »Sorry« oder »Isaac« sind derart traumwandlerisch sichere Nr.-1-Hits, daß bei manchem schon wieder ein Abwehrreflex einsetzen könnte: zu berechnend, zu glatt, am Reißbrett konstruiert. Leider nix verstanden, ihr Lieben: es geht hier nicht um Unterschiede. Madonna spinnt 2005 keine elaborierten Fäden weiter, sondern knotet auf dem Dancefloor einfach alle herumliegenden zusammen. Das Ergebnis rockt, pumpt und schwelgt in neue Höhen. Weder Genderthema noch Polit-Attitüde spielen eine Rolle, die programmatischen Geständnisse beschränken sich weitgehend auf die rudimentäre »Ich & Du«-Grundkonstellation aller Tanzmusik. Das Statement dieser großartigen Platte ist folglich zutiefst demokratisch: Alle sollen wieder mitmachen können. Häufig zitiert Madonna dafür sich selbst oder bedient sich ausgiebig im via Electroclash und der Re-Rockisierung des Dancefloors bereitgestellten Archiv. Das geht so weit, daß man manchmal glaubt, ein Remixalbum zu hören. Plagiativ und kein bißchen schöpferisch? Bullshit! Hauptsache, es knallt! Und mal im Ernst: Das ewige Anhäufen von immer noch mehr Individualität bringt doch auch nicht weiter. Ergo: Wo »Ich« war, werde endlich wieder etwas mehr »Es«. Mit »Confessions on a Dancefloor« bringt Madonna diese fundamentale Begriffsumkehrung von Techno wieder aufs Tapet.

* Madonna: »Confessions on a Dancefloor« (Warner)

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five to seven