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talking headFriedrich, das Album habe ich mir erst kürzlich zugelegt … und nach zweimaligem Hören zur Seite gelegt. Inzwischen gewinnt es an Faszination, denn es nimmt für meine Ohren vieles vorweg, das erst später im Rahmen der „Worldmusic“ entdeckt und in Teilen populär wurde !
Es wächst … und beginnt Peter Gabriel’s „Passion“ Konkurrenz zu machen !!!
PASSION kenne ich leider nicht. Aber schön, dass Dir BUSH OF GHOSTS gefällt.
„Worldmusic“, hmmm … ? Grübel … Ich kann mit dem Begriff nicht besonders viel anfangen. Kam mir immer so vor wie ein Begriff, unter dem man alles mögliche versammeln kann, was irgendwie Popmusik ist, aber Einflüsse aus dem außereuropäischen oder nicht nordamerikanischen Raum hat. Südamerika, Afrika, Asien, alles in einen Topf und fertig ist die Suppe „Worldmusic“. Wobei das aber keinerlei Aussage über die jeweiligen Stilmittel der Musik macht bzw. – um im Bild zu bleiben – über die Geschmacksrichtung der Suppe. Für mich hatte das auch immer ein bisschen den Beigeschmack des gut gemeinten aber etwas naiven „Ach-warum-können-die Menschen-nicht-alle Brüder-sein-in der-Musik-gehts-doch-auch-denn-das-ist-eine-universale-Sprache?“
Wenn man den Begriff so auslegen würde, dass „Worldmusic“ eine Art des Musikmachens ist, die bewusst und absichtlich Stilmittel aus verschiedenen Kulturräumen miteinander kombiniert, dann könnte BUSH OF GHOSTS da reinpassen. Umgekehrt müsste dann alle mehr oder weniger authentische Popmusik aus Südamerika, Afrika, Asien, alle Folklore, egal welcher Herkunft, draußen bleiben. Ja, ich weiß, Authentizität ist schwierig …
BUSH OF GHOSTS ist bestimmt alles andere als „authentisch“, denn da wird alles mögliche miteinander vermischt. Funk, Afro-Beat, Dub und dazu diese objets trouvées aus dem Radio oder von obskuren Schallplatten. Übrigens: Nur vier (mit QU’RAN) der elf Stücke benutzen Quellen nicht-amerikanischen Ursprungs. Alles andere haben Eno/Byrne in den USA aus dem Radio oder von Platten gesamplet, darunter mehrere christliche Prediger und – für mich am lustigsten – einen „inflamed caller and smooth politician replying“ aus einer „radio call-in show“. Das ist ja nicht mal Musik! Und ist das „Worldmusic“?
Aber ist ja auch egal, wie man es nennt, denn natürlich verwursten Eno/Byrne auf BUSH OF GHOSTS verschiedenste Einflüsse, und gerade die Tatsache, dass das eigentlich alles überhaupt nicht zusammen passt, macht die Platte für mich aufregend, denn das Ganze ergibt hier etwas anderes als die Summe seiner Teile. Für mich klang das immer so, als würde man sich in einer schwülen Sommernacht durch ein komprimiertes New York oder eine andere archetypische Weltstadt treiben lassen und an jeder Straßenecke, aus jedem Ladengeschäft, Restaurant, Imbiss oder geöffneten Fenster schallt eine andere Musik, ein anderer Radiosender und das alles vermischt sich auf der Straße zu diesem brisanten musikalischen Gebräu. Urban jungle.
Soweit ich weiß haben Eno/Byrne dieses Collageprinzip nicht selbst erfunden. Holger Czuckay hatte sowas schon vorher gemacht und der wiederum hatte die Idee vermutlich von seinem Lehrer Stockhausen geklaut und der wiederum …
Alles nur geklaut!
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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)