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Sonic Juice
Jedenfalls hat Grunge an Stelle des extrovertierten Männlichkeits- und Agressionskults des Metal die Introvertiertheit und Autoaggression gesetzt. Schon mal ein kultureller Fortschritt an Reflektion.
Kurt Cobain war sicherlich nicht der dümmsten einer. Seine Tagebuchnotizen sind tatsächlich lesenswert auch jenseits der Drogen- und Courtney-Love-Stellen (die man dort eh kaum findet).
Die Musik hatte an diversen Stellen Übergänge zum „seriösen“ Muckertum, etwa dem Songwriter- (Screaming Trees, Mark Lanegan, die EPs von Alice In Chains, Mad Season!) und sogar Jazzgenre (man höre nur mal das atemberaubende, jazzgeschulte Schlagzeug von Jimmy Chamberlin bei den Smashing Pumpkins!). Dass Pearl Jam (aber auch Nirvana) recht anständig, niveauvoll und ansprechend getextet haben, wird ihnen wohl auch niemand absprechen.
Auch die Solomanie des Metal, das demonstrative: ich kann schneller und komplizierter (aber kann leider keine Songs schreiben: a la Steve Vai), wurde sympathischerweise durch das Understatement des Indierocks ersetzt. Usf.
Naja, und das Styling war letztlich auch unpeinlicher als das der Spandexhosen-Fraktion, in dem Sinne als es nahezu kein Styling gab. Auch wenn heute nur noch die Holzfällerhemden aus jener Zeit erinnerbar sind.
Um das wichtigste aber nicht zu vergessen: Grunge hat dem Indierock die Eier gegeben! So fett wie „Nevermind“ hat halt aus der Indiefraktion vorher nichts gerockt.(Hüsker Dü oder die Pixies jedenfalls bestimmt nicht.)
Das mag ja alles gut, schön und richtig sein!
Will ich jetzt auch nicht bezweifeln – da diese Argumente ihren Ursprung in einer Sichtweise haben, für die Grunge und Nirvana ganz sicher eine heilsame Erfahrung war: nämlich eindeutig aus der Sichtweise eines damaligen Metalhörers.
Da kann meine persönliche Auffassung (da ich eher aus der Indie-Ecke komme) schon eine ganz andere sein. Was sie auch ist!
Kurz, Grunge mag zwar einigen (nicht wenigen…) Musikfans neue (Hör-)Dimensionen/Erfahrungen eröffnet/ermöglicht haben, mich liess diese Richtung eher kalt. Möglicherweise dadurch, daß ich durch meine vorangegangenen Hörgewohnheiten schon an einiges gewöhnt war, sicherlich auch eine Altersfrage.
Ich behaupte überdies, Grunge kam für mein Dafürhalten sogar fünf Jahre zu spät.
Während der „Grunge-Ära“ beschäftigte ich mich lieber mit „Intelligent Techno“ und sonstiger Electronica, wie Aphex Twin, Autechre, F.S.O.L., Pan Sonic, etc.
Also, so hat’s zu dieser Zeit bei mir eigentlich eher gar nicht „gerockt“ – Und wenn’s „rockt“, muß es für mich nicht immer „Eier“ haben (da wären wir ja doch wieder bei einer Art extrovertiertem Männlichkeitsbild ). Um aber bei dieser Metapher zu bleiben: Sollte ich das Verlangen nach Musik mit „Eiern“ verspüren, dann bitte für mich immer wieder am liebsten knalligen E.B.M./Electropunk, Herr Ober – aber sparen’s nicht an den Eiern bittschön…
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I mean, being a robot's great - but we don't have emotions and sometimes that makes me very sad