Re: Tocotronic 12.10.2005 Osnabrück – Rosenhof

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sebsemilia

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etwas spät, bezieht sich auch nicht auf das konzert in osnabrück, gehört aber wohl am ehesten hier her:

this boy is tocotronic und du bist deutschland !

Das Licht aus, den Schalter um. Hier ist zwar nicht das Imperium, aber immerhin Tocotronic auf ihrer Herbsttour 2005.

Bevor sie aber auf der Bühne erscheinen, wird noch die passende Stimmung erzeugt. Wahrscheinlich hat Dirk von Lowtzows Vorliebe für Horrorfilme des italienischen Regisseurs Dario Argento und den Autor H. P. Lovecraft die Form des Intros bestimmt. Als die Hallenbeleuchtung ausgeschaltet wird, ertönen Schreie, werden lauter, Nebel zieht auf. Weißes Licht lässt die Bühne kalt und unwirklich erscheinen. Wind verteilt den Maschinen-Nebel, Tocotronic betreten die Bühne.

Sie kommen um sich zu beschweren
Gleich das erste Stück des Abends fasst ein immer wiederkehrendes Thema des tocotronischen Oeuvres auf. In der Anfangszeit wurde es in Form des Hass-Songs perfektioniert. Ablehnung und Verachtung, die einfachste Art der Rock `n´ Roll-Rebellion wurde gespielt. Dafür liebte das junge Indiepublikum sie einige Jahre. In Zeiten präpubertärer Konfusion boten Tocotronic-Textzeilen einen gerne gewählten Ort der Identifikation an. Dabei wurde an diesem Ort vor allem gemeckert, genörgelt, genölt. Bei Tocotronic stiftete die Ablehnung das Gemeinsame, der Hass auf all die Deppen. Alles was man will ist nichts mit ihnen zu tun haben.
Diese Art der lowtzowschen Beschwerde wird in Deutschland nicht gerne gehört, es fehlt das konstruktive Element. Inzwischen ist vieles komplizierter geworden, textlich wie musikalisch hat sich einiges bei Tocotronic getan. Doch der zweite Song des Abends verweist gleich auf Kontinuität im Schaffen, auf der ersten Singleauskopplung der aktuellen Platte steht nach wie vor Ablehnung im Vordergrund. Zwar werden eine Reihe von Dingen aufgezählt, die man mittlerweile mag, letztlich heißt es:
Aber hier leben, nein danke

Die Single war auch auf dem poplinken Sampler „I Can`t relax in Deutschland“ vertreten. Auf 60 Seiten und 20 Tracks wird sich hier mit dem auftretenden deutschen Nationalismus auseinandergesetzt. Denn eines ist doch sicher: Es gibt etwas Besseres als die Nation.
Ihren ersten großen Auftritt im deutschen Fernsehen nutzten Tocotronic schon um ihr Verhältnis zur Nation deutlich zu machen. Ihren Comet für „Jung, deutsch und auf dem Weg nach oben“ nahmen sie nicht an: „Wir sind nicht stolz darauf, deutsch zu sein“. Hin und wieder spielen sie Solidaritäts-Konzerte, um gegen Naziaufmärsche zu mobilisieren, oder bei antifaschistischen Kampagnen. So zum Beispiel bei der Gala zum 60. Jahrestag der bedingungslosen Kapitulation „Deutschland, du Opfer!“ umsonst und draußen in Berlin.
All das mag ich

Natürlich ist ein Konzert keine Demo und kein Universitäts-Seminar. Jan stellt deshalb klar: „Wenn wir Bäume wären, würden wir euch Sauerstoff geben. Wenn wir Wolken wären, würden wir euch Wasser geben. Wir sind aber nur eine Band…“
Und was diese Band gibt, veränderte sich im gefeierten zehnjährigen Bestehen immer wieder. Anstelle von Alltagssituationen tauchen in neueren Stücken vor allem Symbole, Verweise, Metaphern und Zitate auf. Nicht mehr ganz so eindeutig, komplexer und bedrohlicher scheint die Welt geworden zu sein. Die großen musikalischen und textlichen Unterschiede der, sagen wir, letzten vier Platten merkt man live aber nicht ganz so stark wie auf der heimische Stereoanlage. Stattdessen fällt auf, dass Gleichgültigkeit und Unentschlossenheit einer kämpferischen Stimmung gewichen sind.
Das Unglück muss zurück geschlagen werden

Die auf „K.O.O.K.“ stärker in den Vordergrund getretenen analogen Synthesizer und Keyboard-Sounds sind während des Konzertes nicht zu hören. Dafür bearbeitet das nicht mehr ganz so neue Mitglied Rick McPhail konzentriert seine Gitarre, streut Licks und Solos ein, während Lowtzow weiter seine Schrammelgitarre zupft. Zu viert klingen Tocotronic nicht mehr ganz so sehr nach Garage. Man wird wohl älter, reifer, erwachsener. Das Publikum scheint sich dagegen kaum verändert zu haben und wirkt wie in den seligen Anfangsjahren: jung, studentisch, bürgerlich gebildet. Lowtzwo begrüßt es auffallend freundlich in seinem Buffy-T-Shirt, spricht vor jedem Stück mit einem Lächeln auf dem Gesicht zu den Anwesenden und kündigt das nächste Stück an.
Gespielt wird vieles von „K.O.O.K.“ und „Pure Vernunft darf niemals siegen“, aber auch einige ältere Stücke. Das schwierige weiße Album ist nur durch zwei Songs vertreten, darunter das fabelhafte „Hi Freaks“. Hier zeigt sich das Tocotronic noch immer das Hymnische beherrschen, auch wenn es sich hinter einem Wald aus Zeichen zu verstecken versucht. Im ersten Zugabenblock werden „Ich muss reden auch wenn ich schweigen muss“, „Drei Schritte vom Abgrund entfernt“ und „Freiburg“ schnell und hart runtergerotzt, mache meinen sogar: gerockt. Als Letztes gibt es – wie könnte es passender sein – „So Jung kommen wir nicht mehr zusammen“. Die Hälse sind gestreckt. Tocotronic machen sich klein und bearbeiten, auf dem Boden kniend, Gitarre und Bass während das Stück in einem Feedback-Gewitter ausläuft. Minuten lang dröhnt es, schneiden sich Gitarren durch Klangwände, rumpelt das Schlagzeug, fiept der Verstärker.
Es ist vorbei, das Licht geh an.
Eines ist ganz sicher, eins zu eins ist schon lange vorbei. Trotzdem wird man sich bei einem erneuten Zusammenkommen verstehen. Denn:
Wir werden uns nie verändern.

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Look out kid You're gonna get hit