Re: Julia Hummer & Too many boys – Downtown Cocoluccia

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matis

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sie ist echt mal ziemlich cool.. :liebe:
hier ne besonders gelungene Rezension der Platte aus der jungen Welt:

So einfach ist das

Die Schauspielerin Julia Hummer macht Musik und wirkt dabei wie ein Pils in einem Kühlschrank voller Becks Green Lemon

Julia Hummer ist das Kinomädchen mit dem Dornenkronen-Abo. Daß sie noch zurückschlagen würde, wußte man spätestens bei »Gespenster«, dem letzten Christian-Petzold-Film, in dem sie wieder die Stirn in Falten legen und Mißtrauen ausbrüten mußte. Es ist ihre nölige, piepsige Kleinstmädchenstimme, die Julia Hummer solche Rollen einbrockt. Niemand ist ein so schön trauriger Problemteenager wie sie. Aber hat jemand ihr fieses kleines Grinsen bemerkt, dieses fast einzige Lächeln während der anderthalb Filmstunden, als eine Nebenfigur mit dem Satz »Susanne ist eine Fotze!« aus dem Drehbuch gefegt wird? Und ihre schlimmen, schlechtsitzenden H&M-Jeans in »Gespenster«? Vielleicht gehört das alles nicht hierher, aber wohin denn sonst? Der Hintern, der mit der Hose nicht zurechtkommt, und die Bluse, die auch überhaupt nicht paßt – das alles waren nur Zeichen, die ahnen ließen: Das kann nicht alles sein, dieses Herumtrotzen in Petzold-Filmen, hier quält sich noch ein Inhalt mit der falschen Form.

Nicht flüchten

Jetzt hat Julia Hummer sich das Gitarrespielen beigebracht, eine Band mit dem halblässigen Namen Too Many Boys gegründet und ein Album mit dem abseitigen Titel »Downtown Cocoluccia« auf den Markt geworfen. So einfach ist das nämlich, wenn man anfängt und nicht nur rumlabert. Das verdient schon mal Respekt, aber das schaffen auch andere. Judith Holofernes, die Sängerin von Wir sind Helden, habe ihre Popstarkarriere mit der Stellungnahme »Ich werde jetzt Popstar« begonnen, wie mir jemand erzählte, der sich im gleichen Stadtmagazin wie sie als Zeichenschinder verdingte. Kürzlich begründete Holofernes im Radio eine Japantour ihrer Band bereits damit, daß man fürchte, man würde die Zuschauer in Deutschland langweilen. Julia Hummer aber – und hier beginnt der Unterschied – wird niemals ins Ausland flüchten müssen, denn sie wird nie eine Verkaufsoption im Riesen-Deutschpop-Hype werden, überhaupt wird sie niemals richtig berühmt werden.

Und zwar ganz einfach deshalb, weil sie ziemlich gewagten Bob-Dylan-Folk mit Mundharmonika macht, den sowieso eher wenige hören wollen. Sehr sympathisch, auf jeden Fall. Julia Hummer singt auch nicht Deutsch. Vielleicht weiß sie es, vielleicht ist eher so ein Gefühl, daß man beim Deutschsingen eigentlich nur Fehler machen kann, daß es einen zum Cabinet-mild-Raucher und berufsmäßigen Freundehaber macht. So viel schlimmer Abfall, den man sich die letzten Jahre anhören mußte, so viele grausige deutsche Vokabeln, die entweder keinen Stil oder keinen Sinn haben, so viel Quark, der hemdsärmelig gerührt und gefressen wurde bis zum Kotzen – da wirken Hummers American Style, ihre unaufgeregten englischen Texte und ihre altmodischen Songs wie ein Pils in einem Kühlschrank voller Becks Green Lemon.

Deutsch geht nicht

Julia Hummer besitzt nicht nur ein Wörterbuch und eine Stimme mit haushohem Schätzwert, sie kann auch sonst eine Menge: ein bißchen Rock’n’Roll und amerikanischen College-Feministinnen-Punk, vor allem aber Melancholisches ohne Depressionsverdacht und ausladende Liebeslieder. »If time was on my side« ist eins davon, eine große düstere Wolke mit der psychedelischen Opernhaftigkeit eines Doors-Songs und einer textlichen Prägnanz, die zum Heulen anstiftet: »No one ever could have known/ what it takes to be with you«. Einfacher ist eine Einsicht nicht vorzutragen, schmerzlicher aber auch nicht, und auf Deutsch gleich gar nicht. Es ist schon erstaunlich, wie gut Julia Hummer ist, obwohl sie vor zwei, drei Jahren noch nicht mal Gitarre spielen konnte. Vielleicht wartet man ein bißchen zu oft auf ein fieses Riff oder wenigstens eine rotzige Jeansmädchen-Attitüde, aber dann kommt plötzlich etwas wie »Our empire is«, ein Song, der an die Grand Dame der Mädchenmusik, die Cat-Power-Stimme Chan Marshall, erinnert, und der frei von jeglichem Hitpotential ist, ungefährlich und dabei völlig perfekt. Und mit ihm reift die Einsicht, daß Julia Hummer ganz einfach unrebel without a cause ist. Dabei ist sie jung und könnte das Geld sicher gebrauchen. Aber egal, diese Haltung beweist nur Stil. Und das ist wesentlich mehr, als man heute erwarten darf.

* Julia Hummer and Too Many Boys: »Downtown Cocoluccia« (Strange Ways Records/Indigo)

Tourdaten: 26.10. Hamburg, 27.10. Bremen, 28.10. Köln, 29.10. Offenbach, 30.10. Erlangen, 1.11. Wien, 2.11. München, 3.11. Stuttgart, 4.11. Dresden, 5.11. Leipzig, 6.11. Berlin; Infos unter www.juliahummer.com

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