Re: Die besten Hard Bop Alben

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gypsy-tail-wind
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Spannend! Lass mich mal gestückelt antworten…

redbeansandriceschöne Liste! die Frage, wie sich Soul Jazz, Hard Bop, Modal Jazz unterscheiden, wo Bebop aufhört, wo Free Jazz anfängt, find ich nach wie vor sehr spannend, wenn auch sehr schwierig… die eine Sache, die relativ klar ist, ist doch, dass die Alben von Hank Mobley, Art Blakey… aus den mittleren Fünfziger Jahren Hard Bop sind… und daran anschließend ist es wohl auch einfach, zB die BN Alben von Kenny Drew oder Freddie Redd hier einzusortieren… bei Modal Jazz frage ich mich ein bißchen: Was sind eigentlich Modal Jazz Alben jenseits der einschlägigen Miles Davis Alben? (zB: sind die McLean Alben mit Bobby Hutcherson Modal Jazz?

Ja, das war’s was ich meinte mit z.B. Hutchersons eigenen Alben, den späteren Lee Morgan Alben (besonders meinen liebsten beiden „In Search of the New Land“ und „The Procrastinator) oder auch Jackie McLeans Sachen so ab 1963. Die Stimmung ist eine offenere, der Rhythmus weniger „hart“, also weniger auf diese bluesig-treibende Grundstimmung aus, wie sie für mich irgendwie den Hardbop (im Klischee zumindest) prägt.
Drews Blue Note Album ist aber der Inbegriff eines Hardbop-Albums, ja! Aber nicht ganz unter den besten, für mich. Ebenso wie „Farmer’s Market“ von Art Farmer, übrigens – für mich wohl das hardboppigste seiner Alben, eine Spur weniger subtil und daher eine Spur schwächer als das meiste von ihm, finde ich.

redbeansandriceBei Soul Jazz gibt es ja irgendwie zwei Pfade, die nicht immer sauber zu trennen sind – einmal die Musik von zB Illinois Jacquet, Gene Ammons oder Lockjaw Davis (s. GO1 alten Post oben), die sich von den Randbereichen des Bebop (oder von Grenzbereich Swing zu Bop) Ende der vierziger Jahre in den R&B hinüberentwickelte, oder in die Nähe des R&B, um dann in Sachen wie den Davis Cookbooks oder Gene Ammons 60er Alben zu münden – beides wird man sicherlich Soul Jazz nennen… und dann gibt es die Musik von Cannonball Adderley oder Horace Silver, die die „Soul“ Elemente, die ja auch ein definierendes Element des Hard Bop sind, so sieht man es jedenfalls oft, noch weiter in den Vordergrund gestellt haben…

Ja, da verwischen sich die Grenzen in der Tat… die R&B-Schiene (so würd ich Ammons und Lockjaw und Jacquet mal verorten) läuft irgendwie parallel und geht auch in die 40er zurück, wo schon andere – z.B. John Hardee, Jacquet, Ike Quebec – Jazz gemacht haben, der stark von R&B geprägt war (aber eben doch Jazz, kein bar-walkender Honk oder was auch immer).
Das ist natürlich was völlig anderes als der vergleichsweise sophisticated „Soul Jazz“ von Adderley und Silver, und ich kann irgendwie auch nicht direkte Berührungspunkte ausmachen, sehe das eher als eine parallele Entwicklung. Vielleicht junge, urbane Musik (also der Hardbop), der irgendwie mit anderen Mitteln teilweise ähnliche Emotionen ausdrückte? Sowas in der Richtung… wenn Du oder sonstwer hier Berührungspunkte sieht, bin ich froh um Hinweise!
(Als dritte „Funk“-Schiene gäb’s dann noch das, was ich fast „rural“ zu nennen versucht bin… Jimmy Giuffre mit seinem Trio… oder ganz allein mit seinem stampfenden Fuss, das ist auf seine Weise genauso funky, aber es ist „weiss“ und wohl näher beim Folk und Country als beim harten elektrischen Chicago Blues… oder so…)

redbeansandriceIst sehr lange her, dass ich es gelesen hab, aber in Rosenthals Hard Bop Buch findet sich mehr so ein Ansatz, dass Hard Bop die Zeit war, als man versuchte andere Wege in den Bop zu finden, die Technik zu behalten, aber die „Stimmung“ der Musik zu verbreitern, da passt dann der souligere Hard Bop eines Cannonball Adderley genauso rein, wie zB der lyrische Hard Bop eines Art Farmer… (und wenn man Spaß daran hat, kann man ersteren dann als Subgenre Soul Jazz nennen – kriegt dann aber das Problem, dass zB Gene Ammons hier schlecht reinpasst…)

Ich hab diese lyrischere Richtung fast komplett weggelassen, gerade Farmer… Johnny Coles hab ich zwar auch noch drin… da gäb’s noch einiges mehr, auch z.B. aus der Bethlehem-Ecke, wo ich allerdings ähnlich wie bei manchem RCA-Album der Zeit eher eine weniger extrovertierte Grundhaltung erkenne als ich das mit dem (Klischee-)Hardbop verbinde.

redbeansandriceum mich weiter zu verwirren, hab ich mir grad The Prestidigitator von George Wallington angehört (von 1957, schönes Album, Jerry Lloyd aka Jerry Hurwitz versemmelt es leider ein bißchen), alles weiße Musiker die man naiv eher nicht dem Hard Bop oder Soul Jazz zugerechnet hätte, ist mir aber ganz klar souljazziger Hardbop…

Ich hab ja mal J.R. Monterose’s Debut in die Liste genommen… an Wallington dachte ich auch, sehe ihn selbst aber als waschechten Bebopper! Das heisst natürlich nicht, dass er nciht auch Hardbop-Alben gemacht hat… grad „The Prestidigitator“, aber auch die Quintett-Alben mit Phil Woods und Donald Byrd etc… und ja, ich hab mir auch überlegt, Monks „Brilliant Corners“ in die Liste zu setzen, womit ich zum nächsten Punkt komme…

redbeansandriceund dann bleibt das Problem, dass Mingus, Monk, Coltrane sich eigentlich außerhalb dieser Kategorien bewegen, man ein bißchen den Eindruck hat, das seien Kategorien, um dem „dummen Rest“ gerecht zu werden… der Ansatz über die Regionen ist zweifelsohne spannend – aber an sich müsste es doch möglich sein, auch darüber hinaus ein paar Genregrenzen zu ziehen… ;-)

… Monk, Mingus, Coltrane, auch Miles und Dolphy – für mich sind das halt die grossen Ausnahmetalente, die Musiker, die jegliches Schubladendenken sprengen. Und gerade darin liegt wohl ihre Grösse, dass sie stets wegweisend waren, die Musik in neue Richtungen trieben. Wie Ellington oder Armstrong sind sie für mich ihre eigene Kategorie! (Parker wäre das vielleicht auch geworden, wenn er denn länger unter uns geweilt hätte… Powell war’s nicht vergönnt, Dizzy ist stehengeblieben und hat sein Ding weitergemacht…)

Es geht dabei also keineswegs um den „dummen Rest“ sondern eben um die „paar Genregrenzen“, die ich guten Gewissens ziehen kann.

Und als letztes: die Liste, in der „Idle Moments“, „The Procrastinator“, „Dialogue“, „Unity“, „Speak No Evil“, „Point of Departure“, „Out to Lunch“ und „Evolution“ stehen wäre bei mir eine andere… aber ob ich’s schaffen würde, das von „The Sidewinder“, „No Room for Squares“ und „Nippon Soul“ usw. zu trennen (und ob das überhaupt sinnvoll wäre), weiss ich nicht.

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