Re: Pressemappe

#3181581  | PERMALINK

hank-williams

Registriert seit: 07.04.2004

Beiträge: 3,150

@ sido
Ohne Dir zu nahe treten zu wollen: Das war der mit Abstand beste Post, den ich bisher von Dir hier gelesen habe. Sehr gute Analyse, mein Lieber. Respekt!

Hier noch mal ein Artikel zum Thema, aus dem „Spiegel“:

Fler und Er

Von Uh-Young Kim

Frakturschrift, Reichsadler, abgewandeltes Hitler-Zitat: Der Rapper Fler mischt mit Nazi-Anspielungen die Pop-Szene auf. „Schwarz, Rot, Gold, hart und stolz“, reimt der Berliner MC auf seiner aktuellen Platte und beweist: Mit dumpfem Deutschtum lässt sich prima Kasse machen.

Bis vor kurzem war Fler ein Niemand im deutschen Rap. Wenn überhaupt fiel er durch großspurige Sprüche von der Hinterbank auf. Seit der 23-jährige Berliner aber Anfang Mai sein Album veröffentlicht hat, ist er allgegenwärtig. Für die Blitzkarriere des bulligen Rappers haben sich die Strategen seines Labels Aggro Berlin das skandalträchtigste Tabu der deutschen Gesellschaft zunutze gemacht: rechtsradikaler Nationalismus. HipHop mag mal die Kultur der Minderheiten gewesen sein, nun aber transportiert die größte und flexibelste Jugendkultur der Welt durch Fler auch deutsch-nationalistische Inhalte.

Radikaler Zeichenmix

In der Kampagne zum Album „Neue Deutsche Welle“ wird Fler als völkischer Blutsdeutscher inszeniert. Mit Zeilen wie „Schwarz, Rot, Gold, hart und stolz“ propagiert er Rap als neue Volksmusik. Die Insignien des Rechtsradikalismus werden mit Statussymbolen des HipHop gekreuzt. Das Logo hängt in Frakturschrift an einer Kette. Auf dem Album-Cover posiert der Kappenträger mit Adler auf dem Arm. Im Video schwenkt die Kamera vom Luxusauto zur Deutschlandflagge.

Wegen des Spiels mit dem Nationalismus wird Fler vom größten deutschen HipHop-Magazin „Juice“ boykottiert. In der Titelgeschichte des Konkurrenzblatts „Backspin“ wiederum darf er seinen ausländischen Freundeskreis als Gegenbeweis zu Nazi-Vorwürfen anführen. Im Feuilleton der „Süddeutschen Zeitung“ läuteten dagegen die Alarmglocken vor dem „HipHop von rechts“. Weniger aufgeregt demontierte die „taz“ Flers Inszenierung als ambivalenten Mix aus rechts- und linksradikalen Zeichen. Sozial repräsentiere er das Schreckgespenst des marginalisierten Deutschen in Vierteln, die von Ausländern dominiert seien. „Bravo“ fotografierte ihn gleich mit Vorschlaghammer, und das Skandalfernsehen wittert ein neues Unterschichtenspektakel. Bei all dem Durcheinander sind sich die Kritiker wenigstens in einem Punkt einig: Seine Manager mögen schlau sein, Fler ist es nicht.

Nun war Intelligenz in der Rapmusik nie notwendig, um sich Gehör zu verschaffen. Ganz im Gegenteil: Seit dem Welterfolg von 50 Cent scheinen auch schlichtere Gemüter zum großen Geld befähigt. Flers Album schoss aus dem Stand auf Platz fünf der Charts. Seine von einem Falco-Sample getragene Single „NDW 2005“ landete auf Platz 10. Im Grunde genommen haben aus Sicht des Labels Aggro Berlin alle genau das getan, was sie tun sollten: Fler ins Rampenlicht gerückt.

Musik macht mobil

Eine solche Figur gerade jetzt zu produzieren, ist gleichermaßen skrupellos wie geschäftstüchtig. Seit Monaten transportiert die Popkultur patriotische Themen. Im Kino fließen Tränen zum „Wunder von Bern“, und schwarz-rot-goldene Mode ist im Trend, wie man in Magazinen wie „Blond“ und „Deutsch“ nachlesen kann. Auch in der arg gebeutelten Musikindustrie haben sich Heimatgefühle für naive Deutschrockbands bezahlt gemacht. Zwar konnte sich die Deutschpop-Quote im Radio nicht durchsetzen, die Debatte aber hat ein Klima gefördert, in dem viele Jugendliche das Nationale cool finden. Flers Label nahm die Einladung an. Kurz vor dem 60. Jahrestag des Weltkriegsendes bewarb es Flers Debüt mit dem abgewandelten Hitler-Zitat: „Ab 1. Mai wird zurückgeschossen.“
Den gewissensfreien Marketingplan hat einer der drei Gründer von Aggro Berlin entworfen. Der Graffitikünstler Specter zeichnet für das polarisierende Brutalo-Image von Aggro verantwortlich. Er ist der Kopf hinter dem Aufstieg des unabhängigen Labels, ein Meister der Übertreibung. Specter erfand die Maske von Sido – der momentan populärste und gewitzteste deutsche Rapper. Für Bushido, Sohn eines tunesischen Einwanderers, designte er ein Trademark-Tattoo und schickte ihn als Rapsoldat ins Feld. Der schwarze Rapper B-Tight wurde unter seiner Ägide zum noch schwärzeren, amoklaufenden, politisch unkorrekten „Neger“. Und aus einem schwererziehbaren Heimkind hat Specter nun den harten Germanen gemacht. Der lässt sich nicht länger als „fette Kartoffel“ beschimpfen, sondern verkündet laut, ein „stolzer Deutscher“ zu sein.

Message-Rap für Bildungsbürger

Kurioserweise ist vom entgegengesetzten Ende der deutschen Rap-Szene Ähnliches zu hören. Dort hat sich das antirassistische, afrodeutsche Bündnis Brothers Keepers zu ihrem zweiten Album zusammengefunden. Der deutsch-nigerianische Initiator Ade Odukoya besteht in Interviews ebenfalls darauf, ein „stolzer Deutscher“ zu sein. Er möchte das „Bedürfnis nach einer nationalen Identität“ nicht den Rechten überlassen. Sein Deutschland ist das demokratische, friedliebende, Gutmenschenland. Auf welches Deutschland Fler hingegen Bezug nimmt, führt der Berliner Reimrabauke auf seinem Album nicht weiter aus. Neben Schmähungen von Gegnern und sexistischen Ausfällen bildet sein Nationalismus bloß das Schockmoment, das ihn in der Rap-Arena einzigartig macht.

Ein Generationswechsel hat in der deutschen Rapszene stattgefunden. Bei den Brothers Keepers sind neben Popstars wie Xavier Naidoo die wichtigsten Pioniere der Alten und Neuen Schule aus den neunziger Jahren vertreten, alle mit einem Migrationshintergund. Torch, Denyo von den Beginnern, Samy Deluxe und Afrob wurden stark vom sozialkritischen Message-Rap aus New York beeinflusst. Vier Jahre nach dem Erfolg des Antirassismus-Songs „Adriano (Letzte Warnung)“ ist jedoch das Interesse an dem politisch ambitionierten Projekt gering, während Fler die Aufmerksamkeit der Presse genießt.

Fler stammt aus der jungen Berliner Battlerap-Szene, die um das Jahr 2000 gerade aus Ablehnung der alten Stars, Hierarchien und Regeln entstanden ist. Ihr Säulenheiliger ist der Einzelkämpfer Eminem; inhaltlich geht es ausschließlich darum, andere Rapper zu beleidigen. Battlerap ist im HipHop eine Art sozialdarwinistische Sportdisziplin aus Frauenfeindlichkeit, Homophobie, Antisemitismus und Gewaltexzessen. Dem Schulterschluss der Hamburger und Stuttgarter Brothers Keepers mit dem bildungsbürgerlichen Mainstream halten die Berliner die vermeintlich ungeschminkte Realität aus dem Ghetto-Alltag entgegen. Kasse machen wollen beide – die einen mit, die anderen ohne Moral.

Fight Club für den Osten

Der Erfolg beider Lager deutet drauf hin, dass sich die relevanten Themen im HipHop von Fragen der Rasse auf die der Klasse verschoben haben. Auch die Brothers Keepers tragen dem Rechnung und haben ihr Wirkungsfeld um weiße Sänger wie Gentleman erweitert. Von ihrer Botschaft sollen sich auch perspektivlose Jugendliche im Osten Deutschlands angesprochen fühlen. Gerade dort aber waren die Vorbestellungen für Flers Album am größten. Zurzeit haben Gleichheit und Brüderlichkeit bei Jugendlichen offensichtlich wenig Chancen gegen eine um männliche Allmachtsphantasien aufgebaute Videospiel-Identität.

So gegenteilig die beiden Entwürfe sind, ist ihnen doch eines gemeinsam: Von unten fordern sie Einlass in die Mehrheitsgesellschaft über die nationale Identität. Die einen als aufklärerisches Kollektiv, weil sie einzeln nicht akzeptiert worden sind. Der andere mit dem Baseballschläger, weil er vergessen worden ist. Im Interview mit „Backspin“ gab Fler zu, er müsse auf sein Image aufpassen, sonst bekomme er keine Auftritte mehr. Die Macher wissen – Flers Deutschtümelei darf nur so weit gehen, wie sie von ihr finanziell profitieren können. In dem Wunsch nach sozialem Aufstieg um jeden Preis entpuppt sich seine Radikalität als simple Anpassung an einen Markt, auf dem sich mit dumpfem Deutschtum derzeit prima Kasse machen lässt.

--

„Kreuzberg ist so hart, dass sogar die Steine sagen: Wir sind zu weich für die Strasse. So hart ist Kreuzberg.“ (Catee)