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Da schlag ich heute Morgen das Schwäbische Tagblatt auf und was erblicke ich der Bossi im Brennpunkt……
MUSIK / Bruce Springsteen beschäftigt sich auf seiner neuen CD mit dem 11. September 2001
Funken der Zuversicht mitten in Staub und Asche
„The Boss“ erhebt wieder die Stimme. Mit der CD „The Rising“ meldet sich Bruce Springsteen nach siebenjähriger Abwesenheit und einem Ausflug ins Folk-Fach als Rocksänger zurück. Das Grollen des 11. September 2001 lockte den alten Haudegen ins Studio.
LOTHAR TOLKS
Meldet sich zurück: Bruce Springsteen mit seiner Frau Patti Scialfa und Clarence Clemons von der E-Street-Band. FOTO: AP
Around here, everybody acts the same / Around here, everybody acts like nothings changed / Friday night, the club meets at Als Barbecue / The skys still the same unbelievable blue.
Das also ist sie, die erste vernehmliche Antwort eines Pop-Künstlers auf den Terror vom 11. September vergangenen Jahres. Bruce Springsteen, Sänger, Gitarrenveteran und amerikanischer Held, will mit seiner CD „The Rising“ ganz offensichtlich Hoffnung verbreiten. Dafür hat er sich erstmals seit sieben Jahren wieder ins Studio begeben, die legendäre E-Street-Band zusammengetrommelt und seine Rockstimme ausgepackt. Die war zuletzt 1992 zu hören gewesen und zwischendrin verschollen – die 1995 erschienene Scheibe „The Ghost of Tom Joad“ war ein sehr leiser, bisweilen trübsinniger Ausflug ins Folk-Fach.
Von den ganz düsteren Tönen hält sich „The Rising“ fern. Die Band, die erstmals seit 15 Jahren wieder mit Springsteen arbeitet, geht mit der gewohnten Mischung aus Schwermut und Optimismus zur Sache. Schon der Titel der CD zeigt die Richtung an: die deutsche Übersetzung könnte Aufbruch, aber auch Auferstehung lauten. Das angesehene Time Magazin widmete Springsteen unter der Überschrift „Reborn in the USA“ eine Titelgeschichte und legte sich fest: „In ,The Rising steckt mehr Auferstehung als in einem Monat Gottesdienst.“
Dass sich ausgerechnet „The Boss“, wie Springsteen von seinen Fans genannt wird, dem neuerlichen amerikanischen Trauma zuwendet, ist kein Zufall. Mit „Born in the USA“, das er sich 1984 aus dem Leib schrie, eroberte er die Herzen seiner Landsleute im Sturm. Es war die Nach-Vietnam-Generation, die aus Springsteens kraftvoller und rebellischer Komposition Zuversicht und Selbstvertrauen schöpfte.
Dabei sieht sich der Barde selbst als unpolitisches Wesen. Aber was heißt das schon? Sein Thema sind Mann und Frau von nebenan – und weil er seit Jahrzehnten beobachtet, wie sie leben, arbeiten, leiden und lieben, ist Springsteen zu einem wichtigen Seismographen amerikanischer Befindlichkeiten geworden. Und damit, wenn auch ungewollt, politisch. Seine Texte sind Graffiti, geeignet als Dekoration für U-Bahnschächte oder Hinterhöfe. Der literarische Tiefgang etwa eines Bob Dylan geht ihnen ab. Springsteen ist auch kein Vordenker, sondern ein Chronist, ein Reporter im besten Sinne. Mit einfachen Worten erklärt er den Amerikanern – und dem Rest der Welt – Amerika.
Mit „The Rising“ setzt Springsteen diesen Weg konsequent fort. Die Stücke erzählen aus der Sicht von Betroffenen, wie und weshalb für sie der 11. September 2001 schicksalhaft wurde. Anklagen, Hetzreden? Fehlanzeige. „Better ask questions before You shoot / Deceit and betrayal“s bitter fruit“ (Frage lieber, bevor du schießt, Täuschung und Betrug sind bittere Früchte), mehr politische Aussage ist nicht. Kein Gut und Böse, kein Schwarz und Weiß.
Dafür liefert Springsteen Authentizität: Er hat für sein Werk journalistische Recherchearbeit geleistet und mit Augenzeugen gesprochen. Damit zeigt der mittlerweile 52-Jährige einmal mehr eine Fähigkeit, die seinen Erfolg begründet: Obwohl nicht selbst Akteur, schildert er Erfahrungen, Gefühle, Lebenswege seiner Protagonisten, als wären es die eigenen.
Der Rockstar war nie arbeitslos, singt aber einfühlsame Balladen über Arbeitslose („My Hometown“, 1984). Er lebte nie auf der Straße und schreibt ganze Alben über das Dasein im Schatten der Etablierten („Nebraska“, 1982 und „The Ghost of Tom Joad“, 1995). Er ist eben der „rich man in a poor man“s shirt“, wie er sich 1992 in seinem Stück „Better Days“ zutreffend selbst analysierte.
Springsteen hat auch den Terrorangriff auf New York nicht vor Ort, sondern aus sicherer Entfernung am Fernseher erlebt. Das hindert ihn nicht daran, die Perspektive von Opfern und Tätern einzunehmen und glaubwürdig zu transportieren. Stark daran ist, dass die Texte ehrliche Trauer vermitteln, schwach, dass mancher Song eher seicht geriet. „Blood moon risin“ in a sky of black dust / Tell me Baby who do you trust?“ (Ein blutiger Mond geht auf in einem Himmel aus schwarzem Staub, sag mir: Wem kannst du noch trauen?) ist noch eines der gelungeneren Beispiele.
Springsteen bemüht sich, inmitten von Staub und Asche Funken der Zuversicht zu entzünden. Es ist mühsame Arbeit. Zumindest in seiner plakativen Form in „My City of Ruins“ ist dieser Versuch reichlich daneben gegangen. Das appellative „Come on, rise up“, das in ähnlicher Form auch im Titelstück „The Rising“ auftaucht, mag den Wunsch vieler Amerikaner nach Wir-Gefühl und Verbrüderung gegen den Feind bedienen. Es ist aber ein billiger Effekt und als Botschaft banal.
Natürlich kommt auch Springsteen nicht an den New Yorker Feuerwehrleuten vorbei, die nach dem 11. September glorifiziert wurden. „Into the Fire“ erzählt von Pflichterfüllung bis in den Tod – und der Hoffnung, die daraus entstehen kann: „May your strength give us strength“. Wieder wird der Zeitgeist zutreffend erfasst, seine Fragwürdigkeit aber nicht thematisiert.
Überzeugender wird Springsteen, wenn er die Nachdenklichkeit und Verunsicherung übersetzt, die nach dem Desaster des 11. September in den USA eingekehrt ist. In „Nothing man“ erzählt ein überlebender Feuerwehrmann von der Leere, die jetzt seine Existenz bestimmt. Eine Frau trauert in „You“re missing“ um ihren getöteten Ehemann. Selbst die Perspektive des Attentäters fehlt nicht: „I see you on the other side / I search for the peace in your eyes / But theyre as empty as paradise“ (Ich sehe dich auf der anderen Seite und suche in deinen Augen Frieden, aber sie sind so leer wie das Paradies) heißt es in „Paradise“.
Und auf der anderen Seite des Hudson, in New Jersey, steht ein nicht mehr ganz junger Mann und blickt auf die verwundete Skyline New Yorks. Wir überstehen auch das, glaubt Bruce Springsteen.
Erscheinungsdatum: Dienstag 06.08.2002
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