Re: Bruce Springsteen

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dr-nihil

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Hier noch ein Artikel zu Springsteen und seinem neuen Album „The Rising“, den ich heute Morgen in der Frankfurter Rundschau fand:

Das Blut, der Staub, der leere Himmel

Warten auf das Paradies: Bruce Springsteens neues Album „The Rising“ vertieft sich in Amerikas Trauer nach dem 11. September

Von Adam Olschewski

Auf dieser Straße, in dieser Stadt, auf diesem Planeten ist kein Platz für zwei Bob Dylans. Gut; so trafen sie dann eine Abmachung, wahrscheinlich in einem der Drive-Ins entlang des Highways 61: Bruce Springsteen sollte Dylan vertreten als dieser abwesend war, vor allem gegen Ende der Siebziger und in den Achtzigern, dafür machte sich Springsteen, als Dylan im Alter wieder der Saft in die Knochen schoss, unauffällig davon. Mindestens anderthalb Jahrzehnte lang war Springsteen der bessere Dylan; als aber Dylan wieder Dylan sein wollte, wusste Springsteen nicht wohin mit sich.

Manche behaupten, Springsteen wäre ein Songwriter seltenen Ausmaßes und sowohl Woody Guthries wie Leadbellys würdiger Nachfahre. Doch war er auf der anderen Seite stets jemand, dem es schwer fiel, dem nächstbesten Bild auszuweichen; dazu hüllte er seine Lieder in zu mächtige Rockergesten ein. Und weil er Amerikaner durch und durch ist, mochte er sich zu selten vom Grundoptimismus, der Wurzel allen Übels, trennen.

Zu Anfang seiner Karriere – er wurde eine Dekade nach Dylan wie dieser von John Hammond an die Oberfläche befördert – wollte ihn seine Plattenfirma solo mit Gitarre vermarkten. Und nach drei Jahrzehnten muss man feststellen: Es könnte das erste Mal in der Rockgeschichte sein, dass Menschen aus den Planungsbüros Recht hatten, denn Springsteens beste Platte heißt nach wie vor Nebraska, wurde mit einem Vierspurkassetenrecorder in seinem Wohnzimmer aufgenommen und zeigt nur ihn und seine Vision von der Welt da unten (die er ja kennt, denn er stammt tatsächlich aus der Unterschicht – Mutter: Sekretärin, Vater: Gelegenheitsarbeiter, meist aber Busfahrer). Dort, wo er sich selbst genügt, zur Reduktion bereit ist, scheinen seine Stärken blendend hell durch: die kaum gebändigte Energie, ein für einen Kraftprotz erstaunlicher Sinn für dahingehauchte Lyrik und eine Stimme, die klingt, als wäre sie kurz hinausgetreten, bevor sie jemand, vielleicht Gottes unsichtbare Rechte, wieder in den Rachen des Absenders hineingestopft hat, von wo sie vom Leben unsanft gestaucht wieder entweichen kann. Nach sieben Jahren Pause hat Bruce Springsteen nun jetzt ein neues Album gemacht; alle Lieder von The Rising entstanden nach den Ereignissen des 11. September. Springsteen war und ist Patriot, er liebt sein Land, seine Jeans und vermutlich seinen Burger, er singt oft von Automobilen, wenn er nicht von Frauen singt.

Wie bei jedem Menschen, der was auf sich hält, tut sich allerdings ein Widerspruch auf, denn bei Konzerten sagt Springsteen: „Fernsehen, Autos, Häuser: Das ist nicht der Amerikanische Traum. Das sind die Trostpreise. Und wenn einem solche Sachen was bedeuten, also, wenn man das alles bekommen hat und für einen Selbstzweck hält, dann ist man angeschmiert. Wenn man nicht aufpasst, dann wird man damit abgespeist – als Belohnung dafür, dass man sich verkauft oder sein Bestes preisgibt.“

Nie war Springsteen dem Staat ergeben; er trat bei Veranstaltungen gegen die Atomkraft auf, als es noch unbequem war, er war für Amnesty International unterwegs, lehnte zwölf Millionen Dollar ab, die ihm Chrysler anbot, um mit dem Lied Born In The USA zu werben. Doch es gab auch Phasen, wo er der Zuneigung zu seinem Land mehr nachgab als notwendig; wo man den Eindruck nicht loswurde, er hätte sich eingerichtet, wäre ein Zufriedener geworden, der zufriedene Lieder singt, damit alle ringsum zufrieden, das meint: gezähmt sind. Doch andererseits; was für ein Vorwurf. Wer ist schon gegen Glück gefeit?

Jetzt also der 11. September. Es scheint dabei, als hätte Springsteen vergessen, dass beinahe ein Jahr vorüber ist, dass an Tätscheln und Solidaritätspflastern bereits Einiges ausgeteilt wurde. Es wäre an der Zeit, bohrend nachzusetzen, die Wunden aufzutun, dem Warum das Deshalb anzuhängen. Doch Springsteen, gestärkt durch die nach 18 Jahren wieder vereinigte und offenbar nostalgisch gestimmte E-Street Band, ergeht sich in Larmoyanz oder Zuspruch oder Grabsprüchen; „Come on, rise up!“ (My City Of Ruins), „Come on up for the rising“ (The Rising). Es ist viel von Blut, Staub, Augen, Glauben die Rede; er will Positives verbreiten, dem US-Bürger – er sieht sich ja vor allem als das: als Bürger -, zuwerfen: Krempel den Ärmel hoch, zeig den Bizeps, lass uns tun, wofür uns der Herr bestimmt hat, nämlich einig zu sein (und im Zweifel: die Erdenbürger zu erlösen?).

Dennoch wird Springsteen zu keinem Zeitpunkt platt wie zuletzt Neil Young, ebenfalls einer von Dylans Nachhut. Seine Texte lassen sich gern anders lesen, als Liebesbezeugungen abseits klarer Adressaten zum Beispiel; lassen sich auch dann noch lesen, wenn das Gras auf den Gräbern mehrfach gegrünt hat. Er begibt sich hinab in die Trauer und vermag zu rühren, wenn er nur simpel vorgeht, wenn er wie im tröstlichen, alleine schon durch Monotonie reinigenden Gebet erzählt: „Everything is everything / Everything is everything“ (You’re Missing); „Empty sky, empty sky / I woke this morning to an empty sky / Empty sky, empty sky / I woke this morning to an empty sky“ (Empty Sky); „I hold my breath and close my eyes / I hold my breath and close my eyes / And I wait for paradise / And I wait for paradise“ (Paradise). Im Groben und Ganzen erweist er sich, das ist eine neue Erkenntnis, als einer der Ersten des Trauergesangs, nein, des Balladengesangs allgemein; in seinem Timbre liegt sowohl eine Ruhe, die den Fallenden abfedert, wie zugleich eine Nähe zum Gebrechen. Das fühlt man auch in Nothing Man, einem Stück, das an sich unverträgliche Elemente wie Elan und Resignation zusammenführt. Dazu zieht die Gitarre Soundfäden in und aus dem Songgefüge, dass man meint, ein Nichts im Nichts zu sein.

Es sind Augenblicke nicht ohne Makel. Denn leider hat Springsteen da und dort ein Hintergrundraunen aus Zusatzstimmen oder Keyboard hinzuaddiert. Es soll mutmaßlich ein Chor der Toten sein, aber es weicht nur die Atmosphäre ins gewollt Ätherische auf, trägt sie gelegentlich sogar penetrant ins Erhabene, wo sie besser asketisch traurig und nur das – wieder: er plus Gitarre – sein sollte.

Obwohl es also einem Lied wie Paradise an Klarheit mangelt, kann es als Zeugnis von unverkennbarer Größe gelten. Es hat starke, eindeutige Bilder, die es niemals unter sich begraben, weil sie reif ausgesprochen werden, ausreichend Weißräume zwischen den Zeilen – und eine Feierlichkeit, die jeder diesseitigen Liturgie, außer einer sehr persönlichen tief innen, fern bleibt.

Bruce Springsteen: The Rising (Sony).

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